Der Kanzler weint

von Redaktion

Emotionale Rede bei Wiedereröffnung der Synagoge

Als der Bundeskanzler aus den Kindheitserinnerungen von Rachel Salamander zitierte, versagte ihm die Stimme. © Sven Hoppe/dpa

Neuer Glanz: Die restaurierte Synagoge an der Münchner Reichenbachstraße, erbaut im Stil der Neuen Sachlichkeit. © Hoppe

Gestern war ein Münchner Feiertag: Nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, für die Menschen in der Stadt und im Freistaat, sondern auch für alle, die sich für Kunst und Kultur – und hier vor allem für die Architektur – begeistern. Mit einem Festakt und 460 Gästen wurde die Wiederherstellung der Synagoge an der Reichenbachstraße gefeiert. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz war in das Gotteshaus unweit des Gärtnerplatzes gekommen. „Ich wünsche mir sehr, dass die Synagoge Reichenbachstraße ein Ort der Heimat für jüdisches Leben und jüdische Religiosität in Deutschland wird, der ausstrahlt auf die ganze Bundesrepublik“, sagte er.

Es waren emotionale Momente: Als Merz aus den Kindheitserinnerungen von Rachel Salamander zitierte, versagte ihm die Stimme. Der Kanzler weinte. Er sei entsetzt darüber, dass Antisemitismus in Deutschland wieder aufgeflammt sei. Merz: „Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr mich das beschämt: als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, aber auch als Deutscher, als Kind der Nachkriegsgeneration, als Kind, das aufgewachsen ist mit dem ,Nie wieder‘ als Auftrag, als Pflicht, als Versprechen.“ Markus Söder sagte später: „Ich will dem Bundeskanzler danken. Nicht nur dafür, was du gesagt hast, sondern wie.“ Und: „Wir alle haben deine Ergriffenheit gespürt.“

Mit der restaurierten Synagoge erhält München nicht nur ein bedeutendes sakrales Gebäude zurück, sondern ein weltweit einmaliges kunstgeschichtliches Zeugnis jüdischer Moderne. Architekt Gustav Meyerstein entwarf das Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit. Am 5. September 1931 wurde der erste Gottesdienst in der „Reichenbachschul“, wie Münchens Juden das Haus nannten, gefeiert. Die Nazi-Zeit und vor allem die brutale Barbarei der Pogromnacht vom 9. November 1938 überstand die Synagoge als einzige Münchner VorkriegsSynagoge. Sie wurde geschändet und verwüstet – den von der SA gelegten Brand löschte die Feuerwehr jedoch. Allerdings nur, um die Wohnhäuser in der dicht bebauten Nachbarschaft zu schützen.

„Sie hat Überlebenswillen bewiesen“, fasste es Rachel Salamander zusammen. „Eine der wahrhaft schönsten Synagogen der Moderne ist gerettet. Es ist vollbracht.“ Das ist das Verdienst der Publizistin und Literaturwissenschaftlerin. Nach dem Umzug der Israelitischen Kultusgemeinde an den Jakobsplatz 2006 stand die Synagoge an der Reichenbachstraße zunächst leer. Salamander startete 2011 eine Initiative, um das Gebäude wiederzubeleben. „Es ist hohe Zeit, die bedrückte und von Traumata beladene Atmosphäre der Nachkriegszeit hinter uns zu lassen“, sagte Salamander in der Synagoge „unserer Eltern und von uns Nachgeborenen“. Es gehe darum, „den Damaligen, den aus der Geschichte Herausgestoßenen mit ihrer von Gustav Meyerstein erbauten Synagoge eine Stimme zurückzugeben, sie wieder zu beheimaten. Das heißt: ein Stück Geschichte zu heilen.“

Daher war auch Emanuel Meyerstein, Sohn des Architekten (1889-1975), aus Israel nach München zum Festakt gekommen. Aus New York war Ariel Aloni angereist. Wie berichtet, ist er der Enkel der Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl, die 1897 hier geboren wurde. Aloni hatte Originalstoffe seiner Großmutter für den Thora-Schrein gestiftet.

Die Wiederherstellung des Hauses hat 14 Millionen Euro gekostet, die je zu 30 Prozent von der Stadt, dem Freistaat und dem Bund übernommen wurden. Zehn Prozent trug der Verein Synagoge Reichenbachstraße, den Rachel Salamander („Mir ist die Ehre meines Lebens zuteilgeworden, ein Gotteshaus am Leben zu erhalten“) gründete und in dem sich Juden und Nicht-Juden für die Restaurierung engagierten.

Ein wichtiger Einsatz – für die Jüdische Gemeinde und die Stadt. Das machte auch Charlotte Knobloch deutlich. „Als offenes Haus unserer Kultusgemeinde macht diese Synagoge ab sofort jüdische Geschichte und Gegenwart für jedermann sichtbar“, sagte die IKG-Präsidentin. „Sie wird nicht nur ein architektonisches, sondern auch ein weiteres kulturelles Glanzlicht für München sein.“ Ohne Zweifel: Gestern war ein Feiertag. MICHAEL SCHLEICHER

Artikel 5 von 8