Selbstironie und fatalistische Gleichgültigkeit: George Humphreys legt die Titelrolle im neuen Salzburger „Don Giovanni“ interessant an. © Christian Krautzberger/SLT
An Mozart kommt man in Salzburg nicht vorbei. Sein Konterfei prangt auf Souvenirs, Süßigkeiten, Bussen oder Reklametafeln. Und ähnlich allgegenwärtig ist natürlich seine Musik. So auch am Salzburger Landestheater, das mit der Neuinszenierung des „Don Giovanni“ zum Saisonstart auf einen Publikums-Renner hofft.
Nicht erst seit #MeToo häufen sich aber freilich auch Stimmen, die sich schwertun mit dem gewissenlosen Don Juan, der seine Partnerinnen wechselt wie andere ihre Socken. Und da macht Regisseurin Alexandra Liedtke keine Ausnahme, die diesen Antihelden konsequent dekonstruiert. Schauplatz ist bei ihr ein angesagter Club, in dem sich die Handlung überwiegend zwischen der neonbeleuchteten Tanzfläche und einer angrenzenden Unisex-Toilette abspielt.
Nach der Beinah-Vergewaltigung von Donna Anna und dem anschließenden Mord an ihrem Vater setzt Liedtke da erst einmal einen Zeitsprung von zwölf Monaten, in denen sich im Liebesleben des Protagonisten nicht mehr viel getan hat. Dies suggeriert zumindest der nach seinen legendären 1003 Eroberungen benannte Szene-Treff, dessen Leuchtreklame nach dem verstrichenen Jahr keine nennenswerten Zahlen mehr hinzugefügt werden müssen.
Salzburgs neuer Giovanni ist kein breitbeiniger Macho, dem trotz Bad-Boy-Image die Herzen zufliegen. Vielmehr ein latent peinlicher Onkel, der immer noch nicht wahrhaben will, dass seine Glanzzeiten als Latin Lover seit mindestens 15 Jahren vorbei sind. George Humphreys spielt dies mit einer interessanten Mischung aus Selbstironie und fatalistischer Gleichgültigkeit. Doch es fehlt das Knistern, es fehlt das abgründig Manische, durch das man besser begreifen würde, warum der Damenchor ihm hinterherkreischt. Oder warum Elvira ihm trotz aller Demütigungen die Treue hält.
Katie Coventry lässt sich von solchen Widersprüchen zum Glück nicht einschüchtern. Mit bedingungsloser Hingabe singt und spielt sie sich in die Herzen des Publikums und wird so zum eigentlichen Kraftzentrum der Aufführung. Und natürlich hat man dieser fesselnden Darstellerin dafür auch die zuweilen gestrichene Bravour-Arie „Mi tradì quell’alma ingrata“ gelassen, in der sie ihren warmen Mezzo leuchten lässt. Luke Sinclair wird dagegen nur die erste der beiden Ottavio-Arien gegönnt.
Aber kleine Kürzungen wie diese bringen gerade im zweiten Akt das nötige Tempo auf dem Weg zur finalen Höllenfahrt, die von Dirigent Carlo Benedetto Cimento packend in Szene gesetzt wird. Am Pult des Mozarteumorchesters pflegt er einen historisch informierten Klang. Transparent aufgefächert, aber dennoch mit dem nötigen Druck. Und auch die Sänger und Sängerinnen dürfen sich bei ihm in guten Händen wissen. So wie Nicole Lubinger, eine eher leicht besetzte Donna Anna, die hier aber eh nicht die große Rächerin spielen muss, sondern von der Regie als traumatisiertes Opfer gezeichnet wird.
Als Kontrast zu ihr gibt Daniele Macciantelli einen rhetorisch gewitzten Leporello. Doch sogar er darf sich vor Yevheniy Kapitula in Acht nehmen, der als Masetto mit virilem Bassbariton wiederholt aufhorchen lässt. Da könnte es durchaus spannend werden, wie sich die Dynamik der Produktion womöglich verändert, wenn der Ukrainer in späteren Vorstellungen selbst in die Titelpartie wechseln darf. TOBIAS HELL
Nächste Vorstellungen
heute und am 30. September sowie am 8., 12., 16.
und 30. Oktober;
salzburger-landestheater.at.