In ihrem Element: die Münchner Künstlerin Judith Milberg.
Feiert das Leben in all seiner Vielfalt: Judith Milberg in ihrer Ausstellung im Diözesanmuseum Freising. © DIRK DANIEL MANN
Tja, das ist jetzt natürlich die Frage. Woher kommt sie – diese unheimliche Schönheit der Natur? Es ist eine Welt von Wundern, durch die wir tagtäglich stolpern. Uns ihrer gar nicht immer bewusst. Grün-schimmernde Käferchen, der Gesang der Nachtigall, Blätter, die sich färben und in schönsten Farben leuchten: Wer hat’s erschaffen? Diese Frage ploppt auf, wenn man Judith Milbergs Ausstellung „Imagine all the Pieces“ besucht. Denn die großformatigen Farb- und Form-Explosionen der Künstlerin hängen jetzt an einem Ort, der nicht perfekter hätte gewählt werden können: im Rundgang der lichtdurchfluteten Eingangshalle des Diözesanmuseums Freising. Ein Haus der katholischen Kirche – da scheint die Antwort auf die eingangs gestellte Frage klar: Gottes Schöpfung schenkt uns die ungeheure Vielfalt dieser Welt. Oder?
Das ist das Besondere am Haus auf dem Freisinger Domberg: Hier wird nicht dogmatisch christlicher Glaube eingefordert. Jeder darf und soll selbst seine eigenen, individuellen Antworten finden. Ein spannender Kniff von Museumschef Christoph Kürzeder und seinem Team daher, zusammen mit der Ausstellung „Göttlich!“, die vergangene Woche startete (wir berichteten), auch Judith Milbergs Arbeiten zu zeigen. Kurator Steffen Mensch hat sie klug gehängt, spannende Blickachsen ergeben sich. Ein Spiel mit Nähe und Distanz: Wer auf der einen Seite des Rundgangs beginnt und hinüber auf die andere Seite der Halle blickt, erlebt die ganze Wucht der aus mehreren Leinwänden zusammengesetzten Werke, um dann aus der Nähe die vielen Details genauer zu betrachten. Jedes Lebewesen, jedes Ding auf dieser Welt besteht aus winzigen Atomen. Ein jedes wichtig für das Gesamtgefüge. Diese Bilder erinnern daran, dass auch wir Part eines großen Ganzen sind. Vermeintlich kleine Teile im Getriebe – doch jedes imstande, das gesamte System zu verändern.
Judith Milberg ist die Tochter eines Archäometrikers und einer Ägyptologin. Unverkennbar hat der Forscherdrang ihrer Eltern, der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen, die Tochter geprägt. An den Urknall erinnern ihre Bilder. Genau wie das Prinzip, nach dem sie entstanden sind. Dem Zufall – oder dem Schicksal? – überlässt sich die Künstlerin zu Beginn. Schüttet Tusche auf Holztafeln. Langsam sickern die Farben in die feste Oberfläche ein; wie Wasser, das in Wurzelwerk dringt. Und neues Leben zum Blühen bringt. Bei Milberg erwächst die Blüte durch Pastellkreide: Mit dem Handballen arbeitet sie diese in mühsamer Arbeit ein, setzt mit satten Acrylfarben Kontraste. Und erschafft so Gebilde, die an Bienen, Käfer, Pflanzen erinnern. Fantasiewesen? Wer sagt denn, dass eine „Big Bee“ (2024), wie sie jetzt in Freising hängt, nicht irgendwo in der Natur genau so vorkommt? Diese Ausstellung ist eine Feier des Lebens in all seiner Vielfalt. Nenn es Gottes Werk, nenn es Evolution – die Bilder urteilen nicht. Sondern ermuntern: Schaut hin! Macht euch die Kostbarkeiten bewusst! Und damit auch: Passt auf sie auf! Sie sind bei aller Schönheit so fragil, diese irrsinnigen, unfassbaren, herrlichen Wunder unserer Welt.KATJA KRAFT
Bis 11. Januar 2026
Di. bis So., 9 bis 17 Uhr;
Domberg 21, Freising.