Spielzeitstart am Bayerischen Staatsschauspiel: Barbara Frey inszeniert Ödön von Horváths Stück „Kasimir und Karoline“ mit Anna Drexler und Simon Zagermann in den Titelrollen. Die Premiere ist heute im Residenztheater. © MATTHIAS HORN/Joel Heyd
Das passt perfekt: Pünktlich zum mittleren Wiesn-Wochenende eröffnet das Bayerische Staatsschauspiel die Spielzeit mit Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ im Residenztheater. Obwohl 1932 uraufgeführt, wirkt der auf dem Oktoberfest spielende Reigen der enttäuschten Träumer und einsamen Seelen erschreckend aktuell. Mittendrin als Kasimir der gebürtige Münchner Simon Zagermann. Vor der Premiere heute Abend sprachen wir mit dem 44-Jährigen.
Sind Sie ein Wiesn-Fan?
Ich hatte zur Schulzeit einige Freunde, die haben ein halbes Jahr gearbeitet, um das Geld innerhalb der zwei Wochen Oktoberfest verprassen zu können. So ein Fan war ich nie. Früher habe ich lange in Läden wie dem Atomic Café oder der Favorit-Bar gearbeitet. Unser Augustiner-Umsatz war relativ beachtlich, weshalb wir zur Wiesn immer einen Tisch bekamen. In dieser Zeit war ich ein paarmal dort. Ansonsten finde ich aber, dass das Oktoberfest den Charakter des Volksfests, das es ja eigentlich mal gewesen war, verloren hat. Bei einem Preis von über 15 Euro für eine Mass kann man ja wirklich nicht mehr von Volksnähe reden. Als ich nach München zurückkam, war ich einmal auf der Oidn Wiesn, das hat mir sehr gefallen, besonders die Steilwandfahrer. Aber für „Kasimir und Karoline“ spielt die Wiesn gar nicht so eine große Rolle …
Horváth schreibt, sein Stück könnte auch an einem anderen belebten Ort spielen.
Dieser Trubel, egal ob Jahrmarkt, Oktoberfest oder der Prater in Wien, sollte ein Gegengewicht und eine Geräuschkulisse bilden zu den teilweise sehr intimen Szenen. Wichtig ist diese Vehemenz an Lautstärke und Betriebsamkeit und Unübersichtlichkeit, damit man sich verliert, wieder findet und wieder verliert.
„Kasimir und Karoline“ passt gut in die Gegenwart, mit der Wirtschaftskrise, den Abstiegsängsten und dem Aufstiegswillen …
Karoline thematisiert früh: „Man muss das trennen, das Private von der allgemeinen Krise.“ Der Schürzinger dagegen glaubt, dass alles unheilvoll miteinander verwoben ist, die Arbeitslosigkeit, die Armut, die sozialen Schichten und Konflikte. Er sagt: „Sobald ein Mann arbeitslos wird, da nimmt die Liebe automatisch ab. Da kann man gar nichts machen.“ Die finanzielle Krise ist also eng verwoben mit der privaten. In der Weltwirtschaftskrise damals sind die extremen Linken und die extremen Rechten stark geworden. Genauso wie sich das heute darstellt. In den USA, die einmal für Liberalität standen, ist der nächste Irrsinn ja immer nur einen Tag entfernt. Natürlich ist die US-Geschichte nicht frei von Grausamkeiten. Aber das Land stand in meiner Jugend noch für anderes. Jetzt wird es zusehends eine Oligarchie oder Diktatur. Die Weltwirtschaftskrise ging damals von den USA aus. Da sind große, beunruhigende Parallelen.
Was für ein Paar sind Kasimir und Karoline?
Im Text wird der Korintherbrief zitiert: „Und die Liebe höret nimmer auf.“ Horváth setzt da etwas Elementares dagegen. Bei ihm ist es nicht mehr so, dass zwei Menschen entgegen den Widrigkeiten zusammenbleiben. Alle befinden sich in wechselnden Konstellationen. Zusätzlich benimmt sich der Kasimir nicht sehr zielfördernd, um die Beziehung zu halten. Das hat viel mit der Umgebung, mit dem Oktoberfest, zu tun. Für Aussprachen ist gar keine Zeit. Es gibt immer nur kurze Begegnungen. Ich kann nicht sagen, was die beiden zusammenhielt. Aber ich kann vermuten, was sie auseinanderbringt: Das sind die ökonomischen Umstände und ihr Wunsch nach sozialem Aufstieg.
Alle Figuren sehnen sich nach etwas, aber das tritt nicht ein …
Genau. Man sehnt sich nach etwas Besserem. Ich glaube, das ist die klare Verbindung zur Gegenwart. Gerade zur Generation der um die 20-Jährigen, die großenteils in den Sozialen Netzwerken leben. Die vermitteln ausnahmslos das Gefühl, es muss etwas noch Besseres geben: Man hat sich für eine Sache entschieden – aber auf Instagram oder Tiktok gibt es schon das nächste große Ding.
Kasimir hat dieses Prinzip durchschaut.
Na ja, was heißt durchschaut? Er erkennt halt die Missstände. Aber das sind keine intellektuellen Figuren. Die reflektieren nicht über das, was sie reden. Sondern sie sehen etwas, begreifen es vielleicht im Moment und sprechen es aus. Und dann rennen sie sozusagen ihren Gedanken hinterher. Aber natürlich sieht er, dass im Zeppelin ausschließlich die Wirtschaftskapitäne sitzen, wie er es ausdrückt, und derweil verhungern unten die Menschen. Was ja stimmt. Karoline dagegen lässt sich beeindrucken, sieht nur das majestätische Luftschiff. Würden Kasimir und Karoline heute die Maximilianstraße entlanggehen, wären sie nachher vermutlich schweißgebadet. Das erschlägt einen, dieser Kommerz, diese ausgestellte Wucht wirtschaftlicher Potenz. Ich finde es sehr erschreckend, wie unsere Gesellschaft sich genau darauf zubewegt – anstatt auf eine intellektuelle Potenz.
Premiere
ist heute, 19.30 Uhr; Restkarten unter Telefon 089/21 85 19 40.