Das Kraftzentrum der Inszenierung: Anna Drexler als Karoline (2. v. li.) und Simon Zagermann (2. v. re.), der Kasimir spielt. Hier mit (v. li.) Juliane Köhler, Thomas Lettow und Max Rothbart. © Matthias Horn
Bevor wir uns dem großen Ganzen zuwenden. Bevor es also um Barbara Freys Inszenierung von Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ geht, blicken wir kurz auf die Hand von Anna Drexler. Auf die linke, um genau zu sein. In einer der ersten Szenen des Stücks, das 1932 in Leipzig uraufgeführt wurde, sagt Drexlers Karoline: „Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm.“ Während sie das sagt, nestelt sie mit ihrer Linken nervös an ihrem Rock – und entlarvt damit en passant das Dilemma ihrer Figur. Offenbart die Zwickmühle zwischen dem, was Karoline glaubt, das sich gehört, und dem, was sie möchte: aufsteigen. Der Zeppelin, den sie zu Beginn so verzückt beobachtet, symbolisiert den Traum vom Höhenflug.
Diese kleine Geste – Drexler wird sie später bei einer Variation der Aussage ganz ähnlich wiederholen – zeigt, wie genau diese Schauspielerin arbeitet. Und welch Glück das Münchner Publikum hat, dass sie in der vergangenen Spielzeit zurück in die Stadt gekommen und nun im Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels engagiert ist.
Das Haus hat am Freitag mit Horváths „Volksstück in sieben Bildern“ die Sommerpause beendet. Freys gut 100 Minuten langer Abend im Residenztheater nimmt den Text sehr genau. Dabei hätte sich die Regisseurin dem Drama gerne so mutig stellen dürfen wie Karoline, die wir aufs Oktoberfest begleiten, ihrem Leben. Martin Zehetgruber hat eine trostlose Kulisse für dieses Karussell der Hoffnungen und Enttäuschungen gebaut: Laub auf dem Boden, die Biergarten-Stühle stehen herum wie verlassene Gerippe, drei übergroße Masskrüge dominieren die Drehbühne, einen hat’s schon umgehauen.
Die Wiesn bleibt also Behauptung (und meist auf der Tonspur). Die Katerstimmung indes rührt nicht nur von der Weltwirtschaftskrise her, die Kasimir die Anstellung als Chauffeur gekostet hat. Was ihn, vor allem jedoch seine Karoline auf eine harte Probe stellt. Groß und nachvollziehbar ist die Sehnsucht der Bürokraft, es besser zu haben, das Leben zu genießen – und sei es nur, indem sie mit dem Schürzinger Eis isst und Achterbahn fährt.
Während hier alle anderen Figuren an Karikaturen vorbeischrammen, sind Drexler und Simon Zagermann, der Kasimir eine brutale Verletzlichkeit gibt, das Kraftzentrum. Hartes Licht holt die einzelnen Szenen aus der Finsternis. Wie unter dem Brennglas zeichnet das Duo dann seine jeweiligen Charaktere und deren Beziehung zueinander. Wünsche, Enttäuschungen und Ungesagtes manifestieren sich nicht nur in Worten, sondern in Blicken, Gesten, Bewegungen. Dadurch sorgen Drexler und Zagermann für Spannung. Eine Spannung, die der Inszenierung an anderer Stelle dieses Reigens der Verlierer der eigenen Herzen fehlt. Freundlicher Applaus. MICHAEL SCHLEICHER
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