Ein goldenes Auge für Sherlock

von Redaktion

Benedict Cumberbatch wird in Zürich geehrt und plaudert über sein Metier

„Yeah, das ist Kino, Baby!“ Benedict Cumberbatch erzählt von der Schauspielerei – die ihm den Golden Eye Award (vorne rechts) eingebracht hat. © MICHAEL BUHOLZER / epa

So ganz geheuer scheint ihm die Sache nicht zu sein: Benedict Cumberbatch ist zum Filmfestival nach Zürich gekommen, um dort den Golden Eye Award für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. „Es fühlt sich an, als hörte ich meine biologische Uhr ticken“, sagt der 49-Jährige auf der Bühne. „Ich hoffe, so ein Lebenswerk-Preis bedeutet nicht, dass man jetzt erwartet, ich würde mich zur Ruhe setzen. Denn ich habe noch lange nicht vor, in Rente zu gehen!“

Noch verkatert vom Oasis-Konzert

Im Anschluss an die Ehrung blickt der englische Starschauspieler in einem moderierten Publikumsgespräch zurück auf seine bisherige Karriere. „Ich weiß nicht, wie lange meine Stimme heute durchhält“, verkündet er zu Beginn. „Ich habe nur drei Stunden geschlafen und fühle mich ziemlich verkatert.“ Schuld daran seien die Gebrüder Gallagher: Am Abend zuvor habe er in London noch das Oasis-Konzert besucht. Cumberbatch findet jedoch schon bald zu gewohnter Eloquenz – und erweist sich wieder einmal als stimmliches Chamäleon, wenn er etwa den australischen Akzent der Regisseurin Jane Campion imitiert.

Er betont, über den Erfolg in seinem Metier entscheide oft der Zufall. Als Präsident der London Academy of Music and Dramatic Art, die er selbst einst absolviert hatte, blicke er oft in hoffnungsvoll leuchtende Augen seiner Studierenden. „Und dann wird mir schlagartig bewusst, dass mindestens 90 Prozent von ihnen vermutlich nie von der Schauspielerei werden leben können, weil sie nicht wie ich die nötige Riesenportion Glück haben.“

Seine eigenen Ambitionen hätten sich ursprünglich auf die Theaterbühne beschränkt. Als durch den überraschenden Erfolg der TV-Serie „Sherlock“ mit ihm in der Titelrolle plötzlich Türen in Hollywood aufgingen, habe er geradezu surreale Erfahrungen gemacht: „An meinem ersten Drehtag zu Steven Spielbergs ,Gefährten‘ stand ich in der Rolle eines Majors auf einem gigantischen Feld mit 80 Pferden, die auf meinen Befehl losstürmen sollten – darunter ein alter, furzender, störrischer Gaul, der ständig heim zu seinem Heu wollte. Aber schon beim zweiten Take ging der Klepper auf mein Kommando ab wie ein Ferrari. Es war berauschend, und ich dachte: ,Yeah, das ist Kino, Baby!‘“

Für die Darstellung des raubeinigen Ranchers in Jane Campions Western „The Power of the Dog“, die ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte, habe er auf einer Farm gearbeitet und sich diverse Fähigkeiten angeeignet: Reiten im Westernstil, Tiere kastrieren, Kadaver präparieren, Banjo spielen, Leder verarbeiten, Schnitzen, Flechten, Modellbau, Schmiedekunst…

Identifikation – auch mit den Bösewichten

Jede Rolle verlange eine andere Art der Vorbereitung, so Cumberbatch, doch sein Ziel sei es, die jeweilige Figur bis zum Beginn der Dreharbeiten völlig verinnerlicht zu haben, damit er am Set beruhigt loslassen könne: „Denn am besten bin ich, wenn ich wie ein Kind agiere, nicht nachdenke, nichts kontrollieren will und so in einen Flow komme.“

Dabei identifiziere er sich stets so weit wie möglich mit den von ihm verkörperten Charakteren, auch mit den Bösewichten, betont er: „Das bedeutet nicht, dass ich ihr Verhalten billige – aber ich muss es zumindest verstehen. Wenn man sich mit solchen Menschen auseinandersetzt, findet man in deren Vergangenheit immer Verwundungen, Schmerzen, Traumata… Denken Sie nur an die vielen toxischen Männer, die in ihrer Kindheit zu wenig Liebe erfahren haben und jetzt die Welt regieren. Empathie ist das Gebot der Stunde. Auch ich selbst könnte mir im Alltag noch eine Scheibe davon abschneiden: Hinterm Steuer meines Autos mutiere ich beispielsweise regelmäßig zu einem furchtbaren Besserwisser. Da muss ich unbedingt noch an mir arbeiten!“MARCO SCHMIDT

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