Ein Überraschungsmenü

von Redaktion

Die Kammerspiele zeigen „Wallenstein“ in sieben Stunden

Ein „Schlachtfest in sieben Gängen“ nennen die Kammerspiele ihre erste Produktion der neuen Spielzeit. In deren Zentrum steht Samuel Koch als Wallenstein (hier in einer Szene mit Katharina Bach, hi.). © Armin Smailovic

Hier ist die Bezeichnung „Gurkentruppe“ mal wortwörtlich zu verstehen: Die Landsknechte in Wallensteins Lager entpuppen sich als weißgewandete Küchenbrigade, die stumm, aber lautstark auf offener Bühne ein Essen zubereitet. Die Gurken werden dabei im Akkordtempo hochprofessionell geschnitten, wie man dank Live-Kamera in Großaufnahme sieht. Sinnlich präsenter ist nur der Gestank nach angebranntem Fett, der in penetranten Schwaden durchs Parkett zieht. „Kochen ist Krieg“ lautet das Motto dieser Szene – die uns womöglich sagen soll, dass Krieg nur die Fortsetzung der konkurrenzbestimmten Arbeitswelt mit brutaleren Mitteln ist?

So genau festlegen will sich Regisseur Jan-Christoph Gockel da aber generell nicht in seiner siebenstündigen Mammut-Inszenierung von oder nach Schillers „Wallenstein“-Trilogie an den Münchner Kammerspielen. Dass ihm trotzdem ein schmackhafter Abend, ja ein Überraschungsmenü gelungen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der deutlich größere Teil des Premierenpublikums – auch dank dreier Pausen samt Würstelstand im Hof – tapfer bis zum Ende durchhielt.

Noch vor der Kochshow tritt aber ein gewisser Sergei auf, der sich als Russe vorstellt, was man auch an seinem Akzent nebst seinem geschmacklosen Trainingsanzug erkennen soll. Er recherchiere zur berüchtigten Söldnertruppe Wagner, berichtet er und serviert uns dann einen abenteuerlichen Eintopf aus Agententhriller und Verschwörungstheorien, wo die Akteure etwa „Putins Koch“ heißen und markige Sätze sagen wie: „Okay, ich schicke die Jungs los.“ Was allerdings ausgezeichnet zu „Wallenstein“ passt, schließlich handelt diese dramatische Räuberpistole des Weimarer Klassikers von einem monströsen Intrigengeflecht: Wallenstein, der erfolgreiche katholische Feldherr des Dreißigjährigen Krieges, erwägt, sich mit den feindlichen Schweden zu verbünden, um seinen Dienstherren, den Kaiser, in die Pfanne zu hauen. Woraufhin dieser mit Hilfe des Grafen Piccolomini eine Intrige gegen Wallenstein spinnt, der am Ende den Kochlöffel abgeben muss.

Für passionierte Verschwörungstheoretiker ist dieser Abend also in jeder Hinsicht ein „Schlachtfest in sieben Gängen“ (so der Untertitel). Ebenso wie für Freunde des Regietheaters der Achtzigerjahre, denn über weite Strecken erinnert die Inszenierung angenehm an den Stil von Claus Peymann: gerade die kontrastierende Kombination mit heutigen Kostümen und Bühnenaccessoires (bis hin zum Rollstuhl des querschnittsgelähmten Wallenstein-Darstellers Samuel Koch) gibt Schillers Blankversen eine kräftige Würznote. Richtig zeitgemäß und zudem saukomisch wird der Abend aber in jenen Szenen, die à la René Pollesch den Illusionsraum brechen und die Figuren ironisch neben ihre Rollen treten lassen.

Die wieder einmal umwerfende Annette Paulmann als Graf Piccolomini erinnert mit ihrem angeklebten Spitzbart an Liesl Karlstadts Kapellmeister in Karl Valentins „Orchesterprobe“ und oszilliert, während sie souverän nebenbei Rühreier brutzelt, ganz selbstverständlich zwischen zehrend tragischer Figur und nörgelnder Kommentatorin des Bühnengeschehens.

André Benndorf wiederum gibt als kaiserlicher Gesandter Questenberg den aasigen Schnösel einer ConsultingFirma, der trotzdem sympathisch rüberkommt. In der amüsantesten Szene verfolgt ihn die Live-Kamera hinaus auf die Maximilianstraße, wo er typische Passanten der Luxusmeile befragt, ob sie Wallenstein kennen, was am Premierenabend zu aberwitzigen Antworten führt – von „Wir sind nicht von hier“ bis zu „Ich investiere nur in Gold“.

Seltsam allerdings: Auch wenn dieses Bühnenmenü in seiner künstlerischen Virtuosität mehr als eine Kochhaube verdient hat, scheint es sich um den eigentlichen Hauptgang zu drücken. Obwohl es dauernd um Krieg geht, bleibt die erschreckende Virulenz, die dieses Thema in jüngster Zeit gewonnen hat, gleichsam ausgeklammert. Die Kolportage über Söldnertruppen, die ja in großen Konflikten heute, anders als im Dreißigjährigen Krieg, nur eine Nebenrolle spielen, wirkt wie eine bemüht angeklebte Scheinaktualisierung. Sie lenkt geradezu davon ab, dass in Zeiten propagierter Kriegstüchtigkeit die drohende Wehrpflicht und der potenzielle Heldentod fürs Vaterland junge Menschen ganz unmittelbar etwas angehen. Wird das Theater also allmählich zum Küchengehilfen der Herrschaftsideologie, statt ihr die Suppe zu versalzen? Langer Applaus und Standing Ovations.ALEXANDER ALTMANN

Nächste Vorstellungen

am 12. und 19. Oktober;
Telefon 089/233 966 00.

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