Frisch von der Klimmzugstange: Sting scheint alterslos zu sein. © Martin Hangen
Stopp mal, der Chef will was sagen! „Mir fällt da was ein“, plaudert Sting in seinen Hit „Walking on the Moon“ hinein – und Gitarrist Dominic Miller bremst pflichtschuldig seinen Septakkord mit suspendierter Quarte aus. Drummer Chris Maas hält brav den Reggae-Beat. „Das Lied habe ich in München geschrieben, 1980 im Hilton-Hotel“, erzählt Sting der ausverkauften Olympiahalle. Fad sei es gewesen und er besoffen im Zimmer hin und her getigert. „Draußen am Himmel stand ein dicker, fetter Vollmond.“ Big, fat Moon, walking round the Room – was gibt das? Richtig: einen Song.
Große Kunst kann aus Banalitäten entstehen, wenn eine Prise Genie im Spiel ist, so viel wird klar. Was man an diesem Abend im Publikum allerdings auch spürt, ist, dass Sting ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Frühwerk hat. Er weiß, dass die Leute gerade wegen der Klassiker gekommen sind, die er mit The Police aufgenommen hat. Aber viele von denen spielt er merklich gebremst, wie beiläufig. „Can‘t stand losing you“ treibt er sämtliche Punk-Power aus – er ist nun mal 74 Jahre alt und keine 17, da will man nicht mehr so tun, als werde man sich gleich umbringen. Und im Mittelteil der Zugabe „Roxanne“ biegt er vollends in die Jazz-Lounge ab. Dass er „Walking on the Moon“ 1979 geschrieben hat, nicht 1980, weiß er sicher auch. Aber es ist halt alles schon so lang her und irgendwie auch wurscht.
Wo Sting wirklich bei sich ist bei diesem Greatest-Hits-Programm, sind seine Solo-Stücke und die zurückgenommenen Police-Kompositionen. Man erinnert sich, was für ein intensives Lied „Mad about you“ doch ist. Stings kehliger Tenor ist kein Jahr gealtert: Wie er im Song „When we dance“ am Ende ins Falsett kippt, erzeugt Gänsehaut – und frenetischen Szenenapplaus.
Und von wegen Alter: Gordon Sumner mag 74 sein, aber der braungebrannte Asket mit den raspelkurzen Haaren und dem stählernen Bizeps ist der Dorian Gray der Popmusik – es scheint, als altere seine abgegriffene Bassgitarre an seiner Stelle. Er betritt die Bühne im schlichten weißen T-Shirt zu „Message in a Bottle“, als habe er sich gerade von der Yogamatte erhoben. Sting singt nicht in ein Mikro, er hat ein Headset um und wirkt damit wie ein Motivationstrainer von der Klimmzugstange. „Sting 3.0“ heißt die Tour, es klingt wie die ultimative Selbstoptimierung.
Aber es bedeutet natürlich auch, dass er zum Trio-Format zurückgefunden hat – nur dass er sich diesmal Begleiter ausgesucht hat, mit denen er sich nicht ständig in den Haaren liegt: Maas trommelt mit Präzision und Miller zupft mit der Zurückhaltung des echten Könners. Er trägt die melodische Hauptlast, und wie er zwischen raffinierter Begleitung und Solo wechselt, ist beeindruckend. Es ist freilich gut, wenn der Sänger ein Lied wie „Fields of Gold“ auch alleine tragen könnte. Dass Miller seiner Gitarre an der ein oder anderen Stelle ein paar dreckigere Töne entlockt, weiß sein Chef allerdings zu verhindern. Transparent-luftige Jazz-Pop-Arrangements dominieren.
Kein Wunder, dass die Zuschauer, die es bei „Englishman in New York“ aus den Sitzen gerissen hat, sich der Reihe nach wieder auf ihre vier Buchstaben pflanzen: Die Songs sind Spitze, allerdings alle im gleichen gemächlichen Business-Class-Tempo, und bald wünscht man sich bei all der bildungsbürgerlich-bourgeoisen Behaglichkeit einen Barkeeper, der einem einen „Cosmopolitan“ kredenzt. Sting umschifft diese Klippe mit einem Kniff, den er perfektioniert hat: Er reichert die Songs um Mitsing-Parts an, mit erstaunlicher Bandbreite von „Hey-yo!“ über „Yo-ho!“ bis „Hi-yey-oh!“. Da kommt der Puls wieder in Wallung.
Und spätestens beim unkaputtbaren „Every Breath you take“ steht die Halle dann kopf. Auch „So lonely“ kann Sting beim besten Willen nicht den Zahn ziehen – es werden zarte Pogo-Versuche gesichtet. Dann tritt der Chef aber wieder auf die Bremse: Am Ende schnappt er sich die klassische Gitarre und schickt die Menge mit dem wunderschönen „Fragile“ nach Hause – auf Nylonsaiten, ist doch klar.JOHANNES LÖHR