Nils Mönkemeyer spielte „No Templates“. © Ganslmeier
75 Jahre Münchener Kammerorchester: Wer beim ersten Konzert der Jubiläumsspielzeit des MKO innehaltende Rückschau erwartet hatte, wurde freundlich enttäuscht. Der traditionsreiche Klangkörper blickt mutig und selbstbewusst in die Zukunft. Im Zentrum: Dieter Ammanns Violakonzert „No Templates“, geschrieben für den Bratscher Nils Mönkemeyer, der nun im Prinzregententheater auch die deutsche Erstaufführung bestreitet. Schon der Titel ist Programm: keine Vorlagen, keine Schablonen.
Mönkemeyer konzertiert nicht einfach vor einem begleitenden Orchester, sondern verhandelt mit diesem eine neue Form. Das Ergebnis: eine bemerkenswerte Verschmelzung im Dialog. Seine Bratsche flirrt, faucht, zögert und führt zwischen Gewalt und Fahlklang in eine Welt, deren Ursprünge durch die subtile Instrumentation oft unklar bleiben. Formgebend wird alles vor allem durch das großartige, vielseitig eingesetzte Schlagwerk. Das gibt dem Klang Richtung, ohne ihn festzulegen. Ammann schreibt Musik, die sich entzieht – und den Zuhörer dabei mitnimmt.
Bevor Ammann den Klang unter Strom setzt, öffnet Joseph Haydn ihn ins Licht. In seiner frühen sechsten Sinfonie („Der Morgen“) geht die Sonne auf. Bas Wiegers gibt am Pult diesem Lichtwerden Raum, lässt Linien atmend entstehen. Der durchsichtig-homogene Klang des MKO trägt die Musik mit kammermusikalischer Wachheit – präzise, beweglich und mit jener Leichtigkeit, bei der Haydn zu schwingen beginnt.
Nach Haydns klarer Ordnung und Ammanns zentrifugaler Energie öffnet Charles Ives einen Raum der Erinnerung. Seine dritte Symphonie („The Camp Meeting“) klingt wie ein Gespräch mit dem Vergangenen – verhalten, nachdenklich, menschlich. Wiegers wählt einen warmen, bisweilen schwelgerischen Zugriff, der manche Ecken dieser widersprüchlichen, oft spröden und bewusst unaufgeräumten Klangsprache glättet. Das ist schön – vielleicht zu schön. Haydn lässt an diesem Abend das Licht aufgehen, Ammann zerlegt es in Spektren, Ives fängt den Schatten ein – und alle drei zeigen, dass Struktur kein Käfig, sondern ein Sprungbrett ist. Das Münchener Kammerorchester hat zum Saisonauftakt den Absprung zielsicher gefunden.WILLI PATZELT