Am Pult des BR-Ensembles: Gastdirigent Robin Ticciati, Chef des Deutschen Symphonieorchesters Berlin. © Severin Vogl
Gibt es im Klassikkanon ein Stück mit einem seltsameren Verhältnis von Musik und Sprache? Hector Berlioz‘ dramatische Symphonie „Roméo et Juliette“ schillert, schlingert zwischen Oratorium, Vertonung, Tondichtung und Musiktheater. Wie ein Shakespeare aus zweiter Hand via Bühnen-Bearbeitungen plus französischer Nach- und Umdichtung.
Eine Prüfung für die Wandlungsfähigkeit des BR-Chores, die er brillant bestand. In der gewissermaßen gesungenen Konzerteinführung des Prologs wurde die folgende Handlung plastisch verraten. Momente, in denen auch Solo-Tenor Valentin Thill den späteren Scherzo-Spuk textklar ausbuchstabierte. Und Mezzosopranistin Julie Boulianne schön die Schattierungen zwischen dunkler Schicksalsahnung und lichtem Liebesglühen traf. Während die Posaunen als Stimmen der Adelsmacht schon die Beredtheit des BR-Symphonieorchesters bewiesen.
Dieses Ensemble, das auch in Hundertschafts-Stärke klar, dosiert und nuanciert wie ein Kammerensemble spielt, erlaubte Dirigent Robin Ticciati eine zügige Interpretation, die Zauber entwickelte, ohne berauscht in der Musik zu versinken. Er ließ hören, wie tief diese Zukunftsmusik aus Vergangenem schöpft. Schon die Introduktion bewegt sich nahe an der Mozart-Ouvertüre. Das Scherzo ein flirrender Sommernachtstraum, mit Flageolett-Triller irisierend und durchschimmernd wie Feenflügel.
Die betörendste „darstellerische“ Leistung des Abends: die Klarinette als Verkörperung von Julias allmählichem Erwachen aus der Stille, aus dem Scheintod-Schlaf. Ticciatis Meisterstück: die Liebesszene, in der instrumental die Titelfiguren zärtlich ihre Stimmen der Zuneigung fanden. Wobei man durchaus hörte, was Wagner da alles für den „Tristan“ mopste. Aber auch, wie viel Beethoven‘sches, motivisch-rhythmisches Konstruktions-Skelett unter dem schwülstigen Begehren steckt.
In der puren Opernszene des Finales rief Solo-Bass William Thomas in der einzigen echten Theater-Rolle des Werks mit inniger Autorität zur Versöhnung. Und der BR-Chor als Verkörperung der verfeindeten Familien ließ den machtvollen Hass zum triumphalen Frieden schmelzen. Ausdauernder Jubel in der Isarphilharmonie.THOMAS WILLMANN
Aufzeichnung
auf br-klassik.de und brso.de.