Er war so frei

von Redaktion

Trauer um Jazzer, Komponist und Weltstar Klaus Doldinger

In seinem Tonstudio: Klaus Doldinger lebte seit 1968 in Icking. © Marcus Schlaf (2)

Seine Frau Inge lernte Klaus Doldinger 1955 kennen, 1960 heirateten sie. © B. Pedersen

Ritt auf Fuchur: Doldinger schrieb auch die Musik zur „Unendlichen Geschichte“.

Jahrzehntelang hat er uns mit seiner Musik beglückt: Am Donnerstag ist Klaus Doldinger mit 89 Jahren im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen. © Rolf Vennenbernd

Als Kind ging das los. Mai 1945, die Amerikaner sind gerade in Schrobenhausen einmarschiert, wo Klaus mit seinen Eltern lebt. Plötzlich tönt eine Musik, zu der man nicht in Reih und Glied marschieren kann. „Sie schien zwar einer Struktur zu folgen, klang aber vollkommen frei. Natürlich hätte ich das damals nicht so beschreiben können, aber ich konnte es fühlen“, beschrieb es Klaus Doldinger in seiner Autobiografie „Made in Germany“. Es war „die Initialzündung, ohne die alles, was danach kam, vielleicht nie passiert wäre“. Und was da alles passiert ist. Klaus Doldinger: Saxofonist, Komponist, Weltstar. Jahrzehntelang hat er uns mit Musik beglückt. Nun ist er im Alter von 89 Jahren gestorben. Am Donnerstagabend ist er im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen.

Die „Tatort“-Musik ist nur einer seiner Hits

Natürlich hätte er nach Hollywood gehen können wie Kollege Hans Zimmer. Doldinger blieb. Seit 1968 lebte er in Icking (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen). Seit 65 Jahren war er mit seiner Frau Inge verheiratet. Er war ein treuer Mensch in jeglicher Hinsicht. „Ich bin Stier“, kommentierte er das einmal lachend in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Auf den Einwand, dass aber doch der Aszendent entscheidend sei, greift er zum Hörer und ruft Inge über das Haustelefon im anderen Zimmer an. „Was für einen Aszendenten habe ich eigentlich?“ – „Jungfrau.“ „Und was bist du?“ – „Schütze.“ Zufriedenes Lächeln. „Wir ergänzen uns ganz gut, wie Sie merken!“

Die Musik hat die beiden zusammengebracht. 1955, der damals 19-Jährige hatte gerade seine Band Oskar’s Trio gegründet. Inge Beck saß im Konzert. Er sprach sie an. Fünf Jahre später heirateten sie. Inge und die gemeinsamen Kinder Viola, Melanie und Nicolas waren die vier großen Lieben in Doldingers Leben – doch neben ihnen hatte er eine leidenschaftliche Affäre. Mit der Musik, dem Jazz, mit Melodien, mit denen er sich unsterblich machte.

Der „Tatort“-Evergreen ist ja nur einer seiner vielen Hits. Doldinger schrieb die Musik zu Filmen wie „Das Boot“ (1981) und „Salz auf meiner Haut“ (1992), zu Serien wie „Liebling Kreuzberg“, „Wolffs Revier“ und „Alles außer Mord“. Oder zu Wolfgang Petersens Verfilmung von Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. Dazu gibt es eine zauberhafte Anekdote. Wie Doldinger überhaupt reichlich Anekdoten in petto hatte, wenn er sein Saxofon mal absetzte. Um sich dann im Redefluss zu stoppen: „Wenn ich erst mal anfange, kann das Stunden dauern.“ Also jetzt: die Erinnerung an einen Frühling Anfang der Achtzigerjahre. Es ist der 7. März 1984 und Inge hochschwanger. Er hat gerade die Filmmusik zur „Unendlichen Geschichte“ fertig und möchte sie Inge präsentieren, seiner wichtigsten Kritikerin. Sohn Nicolas, noch in Mamas Bauch, scheinen die Klänge in die Welt zu locken: Die Wehen beginnen. Deutschlands bekanntester Jazzmusiker setzt seine Frau ins Auto und spielt die Musik übers Kassettendeck ab. Mit dem Glücksdrachen-Thema in den Ohren rauschen sie zum Klinikum. Der Sohn kommt gesund auf die Welt. Und auch die Filmmusik ist geboren. Die erste Reise mit Fuchur, dem Glücksdrachen, endete auf der Geburtsstation.

Doldingers Lebensweg bis zu seinen großen Erfolgen klingt kinderleicht, wie alles bei ihm, der auch im hohen Alter mit seinem Lachen, seinen glasblau glänzenden Augen und seiner Energie eine ungeheure Jugendlichkeit ausstrahlte: Geboren 1936 in Berlin, nach einer Kindheit in Wien mit elf Jahren Stipendiat am damaligen Robert-Schumann-Konservatorium Düsseldorf. Ein paar Jahre Tonmeister- und Musikwissenschaftsstudium. Schließlich 1952 das Bekenntnis zum Jazz, genauer zum Dixieland bei der damaligen Band The Feetwarmers, bei der er als Klarinettist begann. Doldinger kann auf Tourneen durch 50 Länder und mehr als 2000 Kompositionen zurückblicken.

Als Instrumentalist berühmt wurde er mit der 1972 gegründeten Formation Passport. International bekannt war er schon vorher. 1960 tourte Doldinger durch die USA und wurde Ehrenbürger von New Orleans. „Mein größtes Erlebnis.“ Er schaffte es, selbst Menschen, die mit Jazz nichts am Hut haben, in Sekunden dafür zu begeistern. In ihnen Unangepasstheit, Rebellion gegen verkrustete Strukturen zum Klingen zu bringen. Ihnen direkt ins Herz zu vermitteln, dass Improvisation, Zusammenspiel und das Sprengen alter Formen gesund und wichtig ist. „Die Musik war das perfekte Gegengift gegen diese seltsame Mischung aus Geschichtsvergessenheit, Verklemmtheit und Betriebsamkeit, die Enge und Strenge der Fünfzigerjahre“, sagte er. Bis zuletzt hat Klaus Doldinger diese Freiheit zelebriert. Seine Musik bleibt. Und begleitet uns mindestens jeden Sonntag in eine neue Woche.KATJA KRAFT

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