PREMIERE

Posterboy im lauen Lüftchen

von Redaktion

Wagners „Fliegender Holländer“ entert die Salzburger Felsenreitschule

Kein Dämon, sondern ein sehr menschlicher Titelheld: Derek Welton (Holländer) in der Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem. © Tobias Witzgall

Aus der „Bravo“ könnte das sein, weniger aus dem „Playboy“. Der Kerl zieht ja nicht blank. Aber das Poster im Mädchenzimmer reicht, um Senta regelmäßig in Verzückung zu versetzen. Und in Entsetzen, als der Mann wirklich vor ihr steht. Ein Duett, ein paar phonstarke Chöre und einige beherzt ausgestoßene Spitzentöne weiter wandeln sie per Video und händchenhaltend über die Hofstallgasse. Man befürchtet kurz, sie würden zu Wagners Erlösungsfinale auch noch in die Kamera winken.

Wobei das Entlanghangeln am Stück, dies in jetztzeitiger Ausstattung, schon in Ordnung geht. Für Erst- und Seltenseher, die mit Konzeptkrämpfen nicht verschreckt werden sollen, taugt dieser „Fliegende Holländer“ des Salzburger Landestheaters durchaus. Ein- bis zweimal pro Saison darf das Haus ausweichen in die Felsenreitschule, gespielt wird dementsprechend groß Dimensioniertes. Wagner ist natürlich Chefsache. Der regieführende Intendant Carl Philip von Maldeghem und seine Ausstatterin Stefanie Seitz lassen alles auf einem gestaffelten Schiffsdeck spielen.

Manchmal tun sich die Wände auf für Sentas Mädchenzimmer oder den Frauenchor, die Damen jobben als Paketverpackerinnen. Das Setting ist auch Projektionsfläche für Videos; man sieht das Meer wahlweise wogen oder gischten, einmal zieht das Holländer-Schiff vorbei. Vor allem aber gibt es Seile im Dutzend, an denen sich alle hinauf- und hinunterhangeln, sowie ein riesiges weißes und ein rotes Vorhangsegel. Die werden effektvoll hin- und hergezogen und bauschen sich, von Statisten bewegt, im Sturm. Hübsche Bebilderungen sind das, die aber Ersatzhandlungen bleiben: Carl Philip von Maldeghem hat das Stück eher durchgestellt statt durchinszeniert.

Ein Alarmzeichen ist auch, wie leicht sich ein Einspringer zurechtfindet. Sung Min Song kam als Erik erst vor wenigen Tagen dazu. Die knifflig gelagerte Partie singt er mit Verve und energiereichem Tenorstrahl. Zusammen mit Martin Summer (Daland) müht er sich erfolgreich um die Belebung des Abends. Summer steuert dazu seinen markigen, flexiblen Edel-Bass bei. Wie überhaupt sich die Besetzung hören lassen kann: Magdalena Hinterdobler gestaltet eine Senta mit stabiler Dramatik. Riskant ist das oft gesungen, aber bei dieser Sopranistin brennt nichts an. Derek Welton macht nicht nur bella Figura. Sein Holländer ist kein Dämon, sondern macht das menschliche Drama dieser Figur deutlich. Dazu gibt es einen kernigen, gut gepegelten Bassbariton – man hört, dass der Mann (wie in Berlin) schon als Wotan aktiv ist.

Chor und Extrachor des Landestheaters plus Mitglieder des Philharmonia Chores (Einstudierung: Mario El Fakih) stemmen die Massenszenen prachtvoll und meist präzise. Das klangschöne, detailbewusste Mozarteumorchester spielt bis aufs Finale ohne Imponiergehabe. Doch es trifft auf Leslie Suganandarajah, den Chefdirigenten des Landestheaters. Der lässt die Partitur untertourig durchhängen, die Ouvertüre tritt auf der Stelle. Alles wird freundlich verbucht, ein laues Lüftchen, gischten darf es nur auf den Videos. Der Musiksturm wird in dieser Deutung an die (zu oft) eingesetzte Windmaschine delegiert. In 98 Prozent aller Aufführungen gibt es den „Holländer“ als Einakter, hier wird alles durch eine Pause nach dem zweiten Akt unterbrochen. Man hätte dem Dirigenten in der Zeit gern einen großen Braunen spendiert.

Weitere Vorstellungen

am 24., 29. Oktober, 2., 6., 8.
und 11. November;
Telefon 0043/ 662/ 871 51 22 22.

Artikel 11 von 11