AUSSTELLUNG

Königin des Schmerzes

von Redaktion

Marina Abramović in der Wiener Albertina

Der eigene Körper als Kunstobjekt: „Four Crosses“ von Marina Abramović (2019). © Marina Abramović Archives

Wer die große Retrospektive zum Schaffen von Marina Abramović in der Wiener Albertina Modern sehen will, muss einen ungewöhnlichen Weg gehen: Zwei nackte Körper, eine junge Frau, ein junger Mann, flankieren den engen Eingang – wer hineinwill, streift zwangsläufig den einen oder die andere und muss ihm oder ihr ins Gesicht sehen. Doch die beiden Berührten verharren ungerührt — und machen den Eintritt zur ersten Konfrontation mit Abramovićs Werk. Ein Vorgriff auf das, was folgt: Berührung als Problem, Körper als Material, Scham als Prüfstein.

Marina Abramović, 1946 in Belgrad geboren als Tochter politisch geprägter Eltern, die als Partisanen unter Tito gegen die Achsenmächte gedient hatten — Schmerz und Härte waren früh vertraute Terrains. In den frühen Siebzigerjahren öffnete sie sich für eine besondere Sprache: der eigene Körper als Versuchsanordnung. In Performances setzte sie sich Risiken aus bis zur Selbstverletzung, ja zur Bewusstlosigkeit. 1975 zog sie nach Amsterdam und traf Frank Uwe Laysiepen, bekannt als „Ulay“, mit dem sie nicht nur privat, sondern auch künstlerisch ein Paar bildete. Eine Doppel-Identität, ein Kunstwesen, das mehr als die Summe zweier Körper war. Sie realisierten extreme Arbeiten, die bis heute, die Ausstellung zeigt es umfassend, den Maßstab setzen für die Kunst der Performance.

In ihrer weiteren Laufbahn legte Abramović den Fokus auf Langzeitperformances und ritualhafte Objekte. 1997 erhielt sie für „Balkan Baroque“ auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen. Eine Performance, bei der sie vier Tage lang blutige Knochen mit Bürsten und Schabern von Blut und Fleischresten reinigte, als Anklage gegen ethnische Gewalt – der Haufen Knochen ist in Wien zu sehen. Später legte sie den Grundstein für „The Artist Is Present“ im Museum of Modern Arts in New York: In hunderten Stunden saß sie schweigend an einem Tisch Menschen aus dem Besucherstrom gegenüber, ohne ein Wort, ohne Mimik und Gestik. In Wien kann das in einem eigenen Raum nachvollzogen werden.

Abramović wurde schon als „Königin des Schmerzes“ oder gar „Mutter des Leidens“ tituliert. Aber wie weit darf Kunst gehen? In Wien wird als ein Beispiel von vielen die Performance „Rhythm 0“ aus dem Jahr 1974 dokumentiert. Die Künstlerin stellte sich sechs Stunden lang dem Publikum, ausgerüstet mit 72 Objekten, von Zucker und Rosen bis zu Rasierklingen und Waffen, und mit dem Vorsatz: Die Zuschauer können damit und mit der Künstlerin machen, was sie wollen. Das Ganze endete mit Fesselungen, Schnittverletzungen, Rosenstacheln in ihrer Haut, Erniedrigungen mancherlei Art und einem Messer in ihrer Brust – aber auch mit Hoffnung: Als die Brutalität mancher zu weit ging, stellten sich andere schützend vor die Künstlerin.

Heute geht Abramović auch andere Wege: Der Wiener Parcours führt durch Räume wie „Teilnahme“, „Körpergrenzen“, aber eben auch „Energie aus der Natur“. Letzteres zeigt „Transitory Objects“ wie ein Bett aus Stein, auf dem man sich ausstrecken soll, um aus dem kalten Material Energie zu sammeln, in Stille zu ruhen und Teil eines Flow-Rituals zu werden. Diese Ausstellung ist kein Spaziergang. Sie verlangt Mut zur Auseinandersetzung mit Marina Abramović, ihrem Schaffen und vielleicht auch mit sich selbst.GERD KREIBICH

Bis 1. März 2026,

täglich 10 bis 18, Mi. und Fr. bis
21 Uhr; www.albertina.at.

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