Der gestiefelte Jorge Gonzáles ist begeistert von den „Kinky Boots“. Unser Autor Tobias Hell (re. o.) testet sie. Unten: Steve Pateman. © Lakos (2), Hell
Letzte Proben vor der Deutschland-Premiere: „Kinky Boots“-Tänzer in London. © Rich Lakos
Mit Kreativität lässt sich fast jede Krise bewältigen. Das kann der britische Unternehmer Steve Pateman bestätigen. Denn als er Anfang der Neunziger eine Schuhfabrik in Northampton übernahm, gelang es ihm, den kurz vor der Pleite stehenden Betrieb mit einem neuen Produkt wieder in die Gewinnzone zu bringen. High Heels in Männergrößen, die schnell dafür sorgten, dass Patemans Firma zu einer der ersten Adresse für Drag Queens aus aller Welt wurde. Ein Stoff wie geschaffen für die Musical-Bühne! Und davon kann man sich ab sofort auch im Deutschen Theater überzeugen, wo die englische Tournee-Produktion von „Kinky Boots“ morgen Deutschland-Premiere feiert.
Die Musik zu dieser Feel-Good-Show stammt dabei von Pop-Ikone Cindy Lauper, die dafür nach der Broadway-Premiere 2013 als erste Frau mit dem Tony Award für die Beste Partitur ausgezeichnet wurde. Pateman räumt zwar ein, dass die Story im wahren Leben nicht ganz so glamourös war wie auf der Bühne. Und auch die knisternde Beziehung zur Vorarbeiterin Lauren ist eher der Tatsache geschuldet, dass eine gute Love-Story nie schadet. Doch im Gespräch mit seinem BühnenAlter Ego Charlie (alias Dan Partridge) wird der als „Boss in Boots“ bekannt gewordene Brite dann doch kurz emotional. „Es gibt da diese wunderbare Nummer ‚Soul of a Man‘, in der Charlie seinen ganzen Frust rauslassen kann und endlich seine eigene Stimme findet. Wenn Dan das singt, packt es mich jedes Mal wieder.“
Für die Produzenten ist die Tour durchaus ein Wagnis. Schließlich zählt „Kinky Boots“ hierzulande noch nicht zu den großen Selbstläufern. Ändern soll dies unter anderem der zum Show-Ambassador ernannte TV-Star Jorge Gonzáles, der schon lange vor dieser Anfrage ein großer Fan des Musicals war. Und dies keineswegs nur wegen der Schuhe, die ohne Probleme aus seinem eigenen Schrank stammen könnten. „Es gibt in diesem Stück eine Geschichte, die sehr viele Parallelen zu meinem eigenen Leben hat. Das hat mich sehr bewegt.“ Ein zentrales Thema ist für ihn vor allem das respektvolle Miteinander. So etwa eine Szene, in der die rhetorisch und körperlich überlegene Drag-Queen Lola einem homophoben Fabrikarbeiter eben keine deftige Lektion erteilt, sondern ihm dennoch auf Augenhöhe begegnet und ihn damit zum Nachdenken bringt. „Diese Botschaft ist so wichtig heute, weil wir diese Menschlichkeit, die Akzeptanz verlieren.“
Den High-Heel-Experten beim Probenbesuch in London mit dabeizuhaben, war aber auch für die angereiste deutsche Presse ein Gewinn. Denn nach dem Interview-Marathon durften Mutige selbst ein paar Schritte in Lolas roten Stiefeln wagen. Eine Erfahrung, die noch einmal den Respekt vor den Darstellern steigen ließ, die darin scheinbar mühelos ihre Choreos absolvieren. Schon nach zwei Minuten in ungewohnter Höhenluft ist man(n) doch ganz froh, den tapsigen Testlauf ohne Knöchelbruch überlebt zu haben. Wie selbst die tanzerfahrene Kollegin aus dem Ruhrgebiet bestätigt.
Ein Profi auf Absätzen ist natürlich auch Hauptdarsteller Tosh Wanogho-Maud, der im Gespräch mit Gonzáles nicht nur über die selbstbewusste Haltung philosophiert, die sich für ihn in Lolas High Heels fast automatisch einstellt. „Natürlich hat man viel Spaß an den Drag Queens. Aber im Grunde geht es nicht um die großen Show-Nummern. Das Herz unserer Story ist eine Familien-Geschichte. Lola und Charlie haben beide mit den Erwartungen ihrer Eltern zu kämpfen und müssen ihren eigenen Weg suchen. Das sind Dinge, mit denen sich, glaube ich, jeder identifizieren kann.“ TOBIAS HELL
Vorstellungen
von morgen bis 9. November.
www.deutsches-theater.de.