Engagiert: Für Verständnis wirbt Engelke in der Web-Serie „Boah, Bahn“. © Fricke
Eindringlich: Ulrich Tukur und Engelke in „Dann passiert das Leben“. © Gottschalk/dpa
Eine Frau von großer Freundlichkeit: Anke Engelke. © Blitzner
Dieser Film trifft direkt ins Herz. Am Donnerstag startet Neele Vollmars Drama „Dann passiert das Leben“ mit Anke Engelke und Ulrich Tukur in den Kinos. Die beiden Schauspieler glänzen darin als Eheleute, die über die Jahre auseinandergedriftet sind – und nun mit einem heftigen Schicksalsschlag konfrontiert werden. Ein Film über Liebe, Verzeihen, radikale Ehrlichkeit, Freundlichkeit – auch zu sich selbst. (Die Kritik lesen Sie in unserer Donnerstagsausgabe.) Wir trafen Engelke in München. Sie zeigte sich zugewandt wie immer. Freundlichkeit, das scheint auch eines ihrer Lebensthemen zu sein. So erlebt man sie in der Webserie „Boah, Bahn“, die seit Oktober auf dem YouTubeKanal der Deutschen Bahn läuft: augenzwinkernde Videos über den Alltag im Zug – mit seinen Höhen und Tiefen. Warum ihr diese Serie wichtig ist? Auch das hat sie uns erzählt.
Die Rita, die Sie spielen, ist eine Frau, die sehr hart ist zu sich und anderen. Warum wollten Sie sich freiwillig in sie verwandeln?
Als ich das Drehbuch las, habe ich sofort angedockt bei Rita. Ohne Wertung. Nicht, weil ich sie so toll finde oder weil ich sie so doof finde. Sondern ein großes Interesse hatte an der Herausforderung, zu einer solchen Frau zu werden. Gereizt hat mich, dass das eine Frau ist, die ich irgendwie mochte, aber oft nicht verstanden habe.
Ich auch nicht: Sie ist weder zu sich freundlich, noch zu anderen. Haben Sie sie besser verstanden mit der Zeit?
Nö. Sie ist mir weiter ein Rätsel. Aber ich habe sie gern. Weil sie ein Mensch ist. Wir leben in Zeiten, in denen wir andere so schnell bewerten, abwerten – statt zugewandt und empathisch zu sein. Erst einmal sind wir doch alle Menschen. Natürlich gibt es Monster darunter. Aber die haben ja einen Grund, warum sie zu Monstern wurden. Man kann versuchen, anders aufeinander zuzugehen. So kann auch ich versuchen, Rita nicht gleich zu verurteilen. Für ihr brutales Umgehen mit anderen und mit sich selbst.
Das beginnt beim Sprechen.
Oh ja. Die Art, wie wir sprechen, ist enorm wichtig. Doch wir benutzen beispielsweise sehr schnell das Verb „hassen“ im Alltag. „Ich hasse es, wenn die Milch zu kalt ist.“ Oder: „Ich hasse es, im Stau zu stehen.“ Warum nicht achtsam sein beim Sprechen? Denn Sprache beeinflusst Verhalten. Wir sind oft nachlässig mit der Sprache. Dabei ist die so schön! Das Angebot ist derart reichhaltig – und doch beschränken wir uns oft auf wenige, häufig Aggression transportierende Worte.
Haben Sie Lieblingswörter?
Fernweh beispielsweise. Das gibt es so in keiner anderen Sprache. Eine gute Übung ist wirklich, sich mal das Deutsche anzugucken und nach Lieblingswörtern zu suchen. Ich bin zum Beispiel traurig, dass das Wort „Hackenporsche“ nicht mehr im Duden steht. Ich hab so einen Einkaufswagen, den man hinter sich herzieht – jetzt wurde mir mein Wort dafür genommen. Ich war auch eine der wenigen, die regelmäßig das Duden-Telefon genutzt hat. Wurde abgeschafft.
Was ist das Duden-Telefon?
Man konnte da anrufen und Fragen zu Grammatik und Rechtschreibung stellen. Ich liebte das. Doch der Bedarf scheint nicht mehr da zu sein, heute, wo man alles googeln kann. Was jammerschade ist, denn ich habe immer versucht, meine Anrufe dort zu einem besonderen Gespräch zu machen. Und wenn man sich nur den Namen der Person merkt, die antwortet, und sich bei der Verabschiedung noch mal gebührend bedankt. Aber das kostet Zeit und Energie, viele finden das überflüssig. Obwohl diese kleinen Momente zum großen Ganzen werden. Wenn man die vernachlässigt, lieber die Wutkeule herausholt und das Gemecker beginnt, ist es logisch, dass da unglückliche Menschen draus werden – und eine unglückliche Gesellschaft.
Haben Sie deshalb die Serie „Boah, Bahn“ gedreht?
Gründe gab es einige: Ich bin leidenschaftliche Bahnfahrerin und nutze Schiene und Öffis zu 99 Prozent. Das funktioniert prima. Allerdings nur, wenn man privilegiert ist und seinen Zeitplan flexibel gestalten kann. Die Mehrheit kann das nicht. Dass man sich dann angesichts von Verspätungen ärgert, kann ich total nachvollziehen. Dass man ausfallend wird und anfängt, alle in einen Topf zu werfen? Damit habe ich Probleme. Da gibt es einige, die einfach nur schimpfen wollen.
Nach dem Motto: Die Bahn tut das, ummich zu ärgern.
Oft nehmen wir Dinge erst einmal persönlich und meinen, sie seien gegen uns gerichtet. Auch einer der Gründe, warum ich die Web-Serie gerne machen wollte: Alle Menschen, die dort arbeiten auf dem Zug, die wollen auch nach Hause. Die haben einen kranken Vater zu pflegen, die haben ein Kind abzuholen oder einen Hund, der im Sterben liegt. Ich finde, dass sich das nicht gehört, so viel zu schimpfen und seinen Ärger an anderen auszulassen. Ich finde Anstand total gut. Wir sind uns alle einig: Die Bahn ist heruntergewirtschaftet worden, da wurde Riesenmurks gebaut. Und auch jetzt weiß niemand: Wie kann man von heute auf morgen dafür sorgen, dass die Züge pünktlich sind? Aber wo hat’s das schon gegeben, dass von heute auf morgen alles gut wurde? Ich würde mir so wünschen, dass wir einander mehr Zeit geben und Prozessen mehr Zeit geben. Denn das Leben ist zu kurz, um Dinge schnell, schnell zu machen.
Hatten Sie Sorge vor bösen Reaktionen wegen der Solidarisierung mit der Bahn?
So ungern ich das sage, aber es wird wohl immer Menschen geben, die sich zu was auch immer negativ äußern.
Was also tun gegen den Hass?
Na ja, eigentlich müsste man diese Menschen alle in den Arm nehmen. Das fällt schwer, klar. Doch: Wenn wir uns beschweren über den Zustand unserer Gesellschaft, dann beschweren wir uns über uns. Wir sind die Gesellschaft. Vielleicht ist das ein Gedanke, den man einmal zulassen sollte, ehe man meckert. Wir haben mehr Einfluss auf die jeweilige Situation, als wir manchmal meinen.