Das Album „Different Class“ von Pulp wurde nun in einer Jubiläumsausgabe veröffentlicht. © Pulp
Bei der großen Party, die der Britpop im Jahr 1995 im Vereinigten Königreich feierte, standen die Bands Oasis und Blur natürlich im Mittelpunkt der Tanzfläche. Wir erinnern uns: Oasis waren die Prolls, die den Schnöseln Blur Bier über die Rübe gossen und ihnen Brandlöcher in die Wachsjacken kokelten, während die den höheren Töchtern zuzwinkerten. Doch, um im Bild zu bleiben: Da lungerte noch jemand im Club rum. Pulp, die mit ihrem Whiskey-Sour abseits lehnten und das Ganze beobachteten.
Ganz England stritt seinerzeit darüber, ob nun Oasis das Pop-Album des Jahres veröffentlicht hätten oder doch Blur. Womöglich waren Pulp mit „Different Class“ die lachenden Dritten: Der New Musical Express, der den Hype 1995 mitveranstaltet hatte, hievte die LP knapp 20 Jahre später auf Platz sechs seiner „500 greatest Albums of all Time“, weit vor den Kollegen. Zum 30-Jährigen ist es nun in einer Jubiläumsausgabe wieder auf dem Markt.
Was „Different Class“ von seinen Zeitgenossen unterscheidet: Sänger und Songschreiber Jarvis Cocker ließ sich nicht von den Beatles, Bowie und Syd Barrett inspirieren, sondern von anderen sardonischen Beobachtern wie Lee Hazlewood oder Serge Gainsbourg sowie dem theatralischen Schmelz von Scott Walker. Der mit Synthesizern gespickte New-Wave-Rock wiederum atmete Achtzigerjahre-Flair, etwa im Hit „Disco 2000“, der schamlos bei Laura Branigans „Gloria“ klaute. Dazu kamen sexuell aufgeladene Dramolette wie „Pencil Skirt“, „I Spy“ und „Underwear“.
Der beste und bekannteste Song ist freilich „Common People“, ein Indie-Disco-Kracher über eine reiche Studentin, die wegen des Nervenkitzels mit „gewöhnlichen Leuten“ wie dem Erzähler schlafen will, woraufhin der ihr eine Lektion in Arbeiterklassen-Tristesse hält. Man munkelt, Cocker porträtierte mit der Kommilitonin Danae Stratou, die Frau des späteren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis – und auch den britischen Zeitgeist, der letztlich dazu führen sollte, dass die Labour-Partei 1997 nach 18 Jahren konservativer Regierung wieder an die Macht kam. „Ausnahmsweise waren wir da mal auf der Höhe der Zeit“, erinnert sich Cocker in dem Essay, der der Wiederveröffentlichung beiliegt. 1995 spielten Pulp zudem beim Glastonbury-Festival und rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin – auch dieser Live-Mitschnitt ist hier erstmals in voller Länge zu hören.
Heuer haben Oasis mit ihrer Live-Wiedervereinigung wieder die volle mediale Aufmerksamkeit bekommen. Jetzt wird zumindest klar, dass es vor 30 Jahren noch lachende Dritte gab bei der großen Britpop-Sause.JOHANNES LÖHR
Pulp:
„Different Class“
(Island/Universal).