Futuristisch: Dunkle Töne überwogen beim ersten Teil der Fashionshow anlässlich von 15 Jahre Textilmuseum.
Raffiniert: Wie Flammen züngeln die Ärmel dieses außergewöhnlichen Kleides. Kreiert von einer Studentin der Designschule München. © Fotos: Christoph Jorda/tim
„Wer die Mode der Zeit zu lesen weiß, der kann in die Zukunft sehen“, hat es der Philosoph Walter Benjamin (1892-1940) formuliert. Das staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) hat diese Worte am Freitagabend ernst genommen – und wie berichtet anlässlich seines 15. Geburtstages zur etwas anderen Feier eingeladen. Bei einer Fashionshow präsentierten Studierende zweier Klassen der Deutschen Meisterschule für Mode/Designschule München aktuelle Arbeiten auf einem hell ausgeleuchteten Laufsteg mitten im Museum. Und wenn man die männlichen und weiblichen Models besonders im ersten Teil der Schau an den vielen Gästen im ausverkauften Saal vorbeischreiten sah, bekam man ein Gefühl dafür, was Benjamin gemeint hat. Es sind mitunter sehr düstere, abwehrende Gewänder, die 20 Studierende des zweiten Ausbildungsjahres in diesem Frühjahr kreiert haben. Viel schwarzes Leder, klobige Plateaustiefel, unter deren Sohlen man nicht geraten möchte, schließlich: ein fein gewebtes Oberteil, das auch Gesicht und Kopf vollkommen bedeckt und an Magrittes berühmtes Gemälde „Die Liebenden“ erinnert. Die Trägerin läuft barfuß, der ausladende Rock wie aus Spinnweben und Wolle gefertigt. Diese Mode hat viel Düsteres, Verängstigtes, Sorgenvolles. In welche Zukunft die jungen Menschen, die sie gefertigt haben, auf ihrem Laufsteg des Lebens laufen? Ungewiss. Man spürt die Unsicherheit einer ganzen Generation.
Auf andere Weise berührend der zweite Teil der Fashionshow. Es wird luftiger, farbenfroher, leichter: Die angehenden Meisterinnen und Meister hatten von ihren Lehrern den Auftrag erhalten, sich mit Ludwig I. künstlerisch auseinanderzusetzen. Während dessen Regentschaft (1825-1848) nahm die Industrialisierung auch in Augsburg Fahrt auf. Die Augsburger Kammgarnspinnerei wurde 1836 gegründet, die Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg ein Jahr darauf. Derweil die Menschen sich mehr und mehr ins Private zurückzogen. Es ist die Epoche des Biedermeier. Puffärmel, Korsett, gemusterte Stoffe. Besonders bei Letzterem tobten sich die jungen Münchner Kreativen des 21. Jahrhunderts aus. Gesichter, die ihnen bei einem Besuch in der Nymphenburger Schönheiten-Galerie entgegengeblickt haben, und Motive ikonischer Bauwerke der damaligen Zeit haben sie auf die Stoffe gedruckt. So ergibt sich Model für Model ein stimmiges Gesamtbild, das einen Eindruck ermöglicht von Ludwig I. und dessen Volk. Von Architektur, Möbeln, Kunst ließen sich die Studierenden inspirieren. Das Korsett in Rosa erinnert an einen auf den Kopf gestellten Lampenschirm, manche Ärmel an Pumphosen – aber für die Arme; und Lola Montez scheint einem gleich mehrere Male sanft zuzulächeln. Verspielt, handwerklich auf hohem Niveau, und bis ins kleinste Detail wohl überlegt. So manches würde man am liebsten für den eigenen Kleiderschrank mitnehmen. Oder gleich bei der sich anschließenden Jubiläumsfeier überstreifen. Was sich Museumsdirektor Karl Borromäus Murr und sein Team da wieder haben einfallen lassen: zieht an.KATJA KRAFT