Ein Transvestit stürzt die Showtreppe hinunter, der Teufel in Strapsen, der Titelheld zwischen Verklemmung und Outing, alles als sinnenpralle Revue, die das Publikum schwindlig spielt – zehn Jahre ist das her. „Les Contes d’Hoffmann“ im Bregenzer Festspielhaus (Regie: Stefan Herheim) stellte das Seebühnenspektakel „Turandot“ nebenan in den Schatten. Was für ein fulminanter erster Sommer, Neu-Intendantin Elisabeth Sobotka sonnte sich im Glück.
Jetzt ist die Österreicherin weitergezogen an die Berliner Staatsoper. Zu Beginn ihrer zweiten Saison setzt sie wieder auf „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach. Im Publikum sitzt Herheim, auf der Bühne wuselt sich das Geschehen derweil hochtourig ins Leere. Das Auge ist beschäftigt, das Hirn weniger. Lydia Steier ist nun für die Regie verantwortlich, und sie lässt „Hoffmanns Erinnerungen“ spielen. Den frauenfrustrierten Titelheld trifft anfangs der Schlag. Als altes Gespenst mit Zottelfrisur spukt dieser Faust III fortan durch seine Geschichten, wo ihm immer wieder ein gehörnter Mephisto begegnet. Einige Sünden gilt es zu büßen, sein aktueller Aufenthaltsort ist das Fegefeuer (Bühne: Momme Hinrichs).
Freund Nicklausse schwebt auf einer Wolke herab, als Amor-Engel ist er Begleiter durchs Jenseits. Der Bösewicht und Gegenspieler Hoffmanns krankt unterdessen an einer Überdosis Viagra und an seinem erigierten Riesengemächt. Puppe Olympia hat ihren Auftritt im weihnachtlichen Kaufhaus mit besoffenem Santa Claus; ein stummes Kind-Double, es ist der junge Hoffmann, erleidet hier seine erste vergebliche Liebe. Die Kurtisane Giulietta befehligt als Puffmutter ein Etablissement mit Stundenzimmern. Ein wenig unter die Haut geht der Abend wenigstens im Antonia-Akt, wo es menschelt, bis die schwer kranke Sängerin sich die Pulsadern aufschneidet.
Der Abend bewegt sich zwischen Wimmelbild, munterer Bebilderung und Arrangement. Ein paar Kurz-Choreografien (Tabatha McFadyen) gehen als Bewerbung für den Friedrichstadtpalast durch. Das Dämonische, die große Tragik, das Psychogramm eines Scheiternden, überhaupt die Fliehkräfte, die an Offenbachs unvollendeter Oper zerren – all das tippt Lydia Steier nur an. Auch Bertrand de Billy dirigiert sich am Pult der Staatskapelle an einer Themaverfehlung vorbei. Das erste Drittel bleibt flott und flüchtig, später wird es elaborierter. De Billy will Pathos und Muskelspiele meiden, Offenbachs Partitur werden damit die Stacheln gezogen.
Pene Pati, gerade heftig gehypter Tenor aus Neuseeland, singt die Titelrolle mit heller, leicht ansprechender Stimme. Die ist eher lyrisch, bei Dramatischem in Höhenlagen muss er nachjustieren. Ema Nikolovska ist ein (zu) herber, offensiver Nicklausse. Roberto Tagliavini hat für die vier Bösewichte genügend Kondition, Zwischentöne werden im monochromen Kraftgesang ausgeblendet. Unter den Angebeteten Hoffmanns ragt Julia Kleiter als Antonia heraus. Allgemeine Begeisterung für einen harmlosen „Hoffmann“. Was sich wohl Stefan Herheim dachte?MARKUS THIEL