Das Medium weiblicher Körperlichkeit: Sandra Vásquez de la Horra studierte auch in Deutschland. © Judith Buss
Ein Ensemble ausgestreckt fläzender Pappkameradinnen erwartet Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Soy Energia“ im Münchner Haus der Kunst. © Markus Tretter
Sind Frauen nur die Knautschzone der patriarchalen Gesellschaft? Zu derart feministischen Deutungen könnte einen das zerknitterte Ensemble ausgestreckt fläzender Pappkameradinnen verleiten, die Sandra Vásquez de la Horra im Haus der Kunst versammelt hat: überlebensgroße Frauenfiguren, meist nackt und mit Atombusen à la Tom Wesselmann, doppelseitig auf Papier gemalt und sorgsam an den Konturen ausgeschnitten. Damit sie selbstständig stehen können, werden sie Leporello-artig gefaltet und rekeln sich wie Ziehharmonika-Skulpturen auf ihren niedrigen Podesten.
Dass die Frau auch heute noch an der vollen Entfaltung gehindert werde, wäre aber doch eine etwas zu eindimensionale Interpretation dieser Aktfiguren, die man im Prinzip zusammenfalten und unter den Arm nehmen könnte. Denn bei aller feministischen Grundierung geht es der 1967 geborenen chilenischen Künstlerin eher um Welterkundungen durch das Medium weiblicher Körperlichkeit. Es geht um tendenziell vegetative Erfahrungen einer Einheit mit der Natur – wobei sich im Lauf der Zeit ein immer stärkerer esoterischer Einschlag zeigt, der mit seinem Regenbogen-Eiapopeia vielleicht der rein künstlerischen Qualität nicht immer zuträglich ist. Jedenfalls macht diese erste große Retrospektive der Künstlerin unter dem Titel „Soy Energia“ (Ich bin Energie) sichtbar, dass die delikate Handschrift ihrer beeindruckenden früheren Zeichnungen inzwischen manchmal einem leicht süßlichen Spiritualismus gewichen ist, der sich schon in Titeln bemerkbar macht wie „Die Sonnen, die in mir leben“ (2024).
Abenteuerlicher als die Kunst der Chilenin, sind allerdings die Schwänke aus ihrer „spirituellen“ Biografie, die sie bei der Pressekonferenz zur Ausstellung erzählte – auf Deutsch, denn schließlich hat die Künstlerin ja in Köln und Düsseldorf studiert. Als Siebenjährige, erfuhr man, sei sie auf den Osterinseln gewesen – eine „Initiationsreise“, bei der sie „erstmals die Energie von Vulkanen gespürt“ habe. Und 2003 ist Sandra Vásquez de la Horra dann für einige Zeit nach Kuba gegangen, weil sie den Kult der sogenannten Santeria kennenlernen wollte, einer schamanisch-katholischen Mischreligion, die in der Karibik weit verbreitet ist. „Ich habe alles durchgemacht“, erzählt sie – angefangen von Reinigungsritualen über allerlei Orakel-Befragungen, die offenbar eine große Rolle spielen, und am Ende sei sie sogar selbst zur Santeria-Priesterin geweiht worden.
Dem Angebot, als Heilerin auf Kuba zu bleiben, hat sie es aber dann doch vorgezogen, weiterhin bloß Künstlerin zu sein, die aber immer noch das sogenannte Channeling betreibt, was wohl eine Art Kontaktaufnahme mit höheren Sphären meint. Man sieht: Manchmal ist Kunst eben nicht nur Geschmacks-, sondern auch Glaubenssache.ALEXANDER ALTMANN
Bis 17. Mai
Mi. bis Mo. 10 bis 20 Uhr,
Do. bis 22 Uhr;
www.hausderkunst.de.