Am Ende gar nicht sooo garstig: die derbleckenden Schwestern und das Aschenbrödel. © Marie-Laure Briane
Münchens Gärtnerplatztheater in Applaus-Trance. Und dies bei einem Märchen! Ballettchef Karl Schreiner hat „Aschenbrödel“ inhaltlich und choreografisch in unsere Zeit gerückt. Die alleinerziehende Stiefmutter ist nicht gar so garstig. Ihre beiden Töchter, zunächst kapriziös eigensüchtig, wünschen dem Aschenbrödel am Ende viel Glück mit seinem Prinzen. Die Liebenden, beide realitätsflüchtig, haben sich ihre eigene Fantasiewelt geschaffen: statt der helfenden Tauben (im Original-Märchen) flitzen hier behände akrobatisch allerlei exotische Tierfiguren durch die Szenen. An dieser Stelle ein großes Lob für all die Ideen von Kostümdesignerin Bregje van Balen. Und malerisch die Bühnengestaltung von Kaspar Glaner und Simon Schabert. Herabgelassene transparente Raumteiler, plötzlich aufscheinende Palasttreppen und romantische Spielwiesen schaffen Atmosphäre. Unterstützt auch durch das „mittanzende“ Licht von Karl Schreiner und Peter Hörtner.
Ja, hier schwebt, bewegt und dreht sich alles zu Melodien und Takten von Johann Strauß jr. (1825-1899). Und mit „Aschenbrödel“ feiert auch der gebürtige Österreicher Schreiner mit seinem Tanzensemble – in Technik-Hochform! – gerade den 200. Geburtstag des Walzerkönigs. Zur Geschichte: Die Märchen-Partitur blieb unvollendet. Strauß’ Witwe beauftragte Josef Bayer, Ballettdirigent an der Hofoper und selbst Komponist von Operetten, die Partitur fertigzustellen. Und schließlich fügen sich ins heutige Tanz-Märchen auch andere Strauß-Werke: mal eine Pizzicato-Polka, ein Csárdás oder eine Romanze für Cello und Orchester. So ganz leicht zu spielen ist diese sehr bunte Partitur nicht. Da brauchte es ein gewisses „Warm-up“ des Orchesters unter dem jungen Eduardo Browne. Aber es folgen ja noch weitere Vorstellungen…
Das Tanz-Ensemble hatte gleich regelrecht Feuer unter den Füßen. Montana Dalton und Chia-Fen Yeh als lebensgieriges Geschwister-Paar fegten mit akrobatischer Neoklassik über die Bühne. Die energische Stiefmutter Yunju Lee bringt mit expressiver Körperkontur auch mal die drei wild kämpfenden Mädels zur Räson. Ähnlich muss Joel Distefano mit Königs-Allüre seinen lernunwilligen Prinzen tadeln. Hilfe leistet da der sehr hochgewachsene Gjergji Meshaj als verständnisvoller Erzieher. Und superb in dem bekannten, durch den ganzen Körper fließenden „Schreiner-Stil“ Micaela Romano Serrano sowie Pirouetten-Wirbler Ethan Ribeiro als Aschenbrödel und Prinz. Wenn Zuneigung so getanzt wird, muss sie ehrlich sein. Märchen-Fans werden sich garantiert auch die zweite Besetzung anschauen. Und das tierische Getümmel von Waschbären, Eichhörnchen, Lamas, Flamingos und Leuchtkäfer-Armee begeistert hundertprozentig die jüngsten Gärtnerplatz-Besucher.MALVE GRADINGER
Weitere Vorstellungen
Samstag (ausverkauft), 26., 29. November sowie 22., 25. und 28. Dezember (jeweils Restkarten).