„Heute fährt nix mehr! Gar nix!!! Egal wohin“ – prangt auf der Anzeigetafel eines beliebigen Bahnhofs am Rand einer beliebigen deutschen Großstadt. In ein solches Niemandsland hat Jochen Schölch, Regisseur und Professor an der Theaterakademie August Everding, seine aktuelle Inszenierung des Dramas „Ganze Tage, ganze Nächte“ verlegt. Das vor rund drei Jahrzehnten uraufgeführte Stück, Teil einer Trilogie, wurde nun gemeinsam mit den Studierenden des dritten Jahrgangs erarbeitet und im Akademietheater gezeigt. Es gilt als Klassiker des erst kürzlich verstorbenen französischen Dramatikers Xavier Durringer, der sich in seinem Werk stets intensiv mit der Trostlosigkeit und Isolation der modernen Gesellschaft auseinandersetzte und hier besonders die Generation Z in den Blick nimmt.
Der Bahnhof als Ort des Transits und Sinnbild des Wartens – auf irgendetwas oder irgendwen. Neun Individuen treffen hier aufeinander, gehen flüchtige Beziehungen ein und bleiben doch allein: Menschen am Rand der Welt, vermeintlich austauschbar, offen verloren in einer Realität, in der niemand sie weiter beachtet. Gemeinsam ist ihnen nur das Warten auf einen Zug, der nicht eintrifft – wobei selbst das nicht gewiss ist. Nicht nur das Leben dieser Figuren ist aus der Bahn geraten; auch an diesem Bahnhof – anonym, schmuddelig und unsicher – scheint nichts mehr zu funktionieren oder voranzugehen: Die Rolltreppe ist außer Betrieb, der Süßigkeiten-Automat defekt, und einzig die SOS-Säule gibt kryptische Halbwahrheiten von sich (Bühne und Kostüm: Hannes Neumaier). Sie bildet nur eine weitere Stimme aus dem Off, die sich zu den zahlreichen eingespielten Monologen gesellt und Einblicke in das bedrückende Innenleben der Figuren gewährt, aus denen Machtlosigkeit und Ohnmacht gegenüber den Katastrophen unserer Zeit deutlich hervorbrechen. In dieser Vereinzelung und dem tonlosen Graubereich bleibt die Inszenierung weitgehend stecken: Die Darsteller schlüpfen mit unterschiedlichem Erfolg in ihre fast durchweg unsympathischen Rollen, mit denen das Publikum nur schwer eine Identifikation findet. Am Ende ist man beinahe erleichtert, dieser beklemmenden Theaterrealität zu entfliehen und in die kühle Nachtluft hinaustreten zu können.
Das Publikum honoriert die Leistungen des Ensembles dennoch angemessen – und der Zeitpunkt der Einstudierung selbst wirkt wie eine Hommage an den viel zu früh verstorbenen Dramatiker. ANNA BEKE