Paul McCartney in den Siebzigerjahren. © Beck
Seit Paul McCartney die Fab Four am 10. April 1970 beerdigte, klebt das Etikett „Ex-Beatle“ wie Pattex an ihm. Dabei waren die Beatles nur die erste von zwei Bands, mit denen er die Charts stürmte. In den Siebzigerjahren hatten in den USA nur die Bee Gees mehr Nummer-eins-Hits als McCartneys Wings – die gern als harmlose Softrock-Kapelle belächelt werden. Damit sich das ändert, erzählt der 83-jährige „Ex-Wing“ die Geschichte seiner zweiten Karriere neu, mit einem Buch und dem aufwendigen Box-Set „Wings“.
„In den vergangenen Jahren ist mir aufgefallen, dass ich in Interviews genauso viele Fragen zu den Wings wie zu den Beatles bekomme“, erzählt McCartney. Die Antworten liefert er in „Wings: Die Geschichte einer Band on the Run“. So heißt – mit holprig übersetztem Titel – das Buch, das aus über 42 Stunden Interviews und exklusiven Archivmaterialien zusammengestellt wurde.
Darin erinnert sich Sir Paul, wie er nach dem Beatles-Aus ganz unten angekommen war: „Ich war in vielerlei Hinsicht tot.“ 1971 der Start der Wings mit Gattin Linda an den Keyboards und mit Denny Laine als getreuem Gitarristen für die nächsten knapp zehn Jahre. Nach obskuren Kneipenkonzerten für 50 Pence Eintritt wuchsen den Wings Flügel – zunächst mit ihrem besten Album „Band on the Run“ 1973, als die Formation eigentlich schon wieder am Ende war. Mit dem James-Bond-Knaller „Live and let die“, mit Hits wie „Silly Love Songs“ oder dem Dudelsack-Schunkler „Mull of Kintyre“ stiegen die Wings zur Stadionrock-Sensation der 70er auf.
Sogar die oft geschmähte Linda, die laut böser Zungen an ihren Keyboards saß „wie an einem Webstuhl“, bekam verdienten Respekt. „Elton John sagte, er liebe unsere Harmonien sehr“, würdigt Paul seine 1998 verstorbene erste Ehefrau. „Und als ich später mit Michael Jackson zusammenarbeitete, bat er Linda, die Harmonien zu singen.“ Nachzuhören ist das jetzt auf der von Paul McCartney kuratierten Werkschau „Wings“ mit zwei CDs oder drei LPs. Vor allem das limitierte Boxset mit farbigen Vinyls, mit Begleitbuch, Aufklebern, Poster und mehr ist ein Leckerbissen für Fans – und für alle, die wissen wollen, wie es nach den Beatles weiterging. Auch wenn McCartneys Qualitätskontrolle bei den Wings bisweilen schwächelte: Die großen Hits, aber auch Perlen wie der Pop-Spaß „Listen to what the Man said“, der Discofeger „Goodnight Tonight“ oder das New-Wave-inspirierte „Getting closer“ beweisen, dass Paul McCartney zu Recht damit beschäftigt ist, seine Wings zu rehabilitieren.JÖRG HEINRICH
Paul McCartney:
„Wings: Die Geschichte einer Band on the Run“. Aus dem Englischen von Conny Lösch. C.H.Beck, München,
549 Seiten; 44 Euro.
„Wings“
(Capitol/MPL Communications).