Nur oberflächlicher Glanz: Ab Mitte der Dreißigerjahre wird das Nationaltheater geschlossen. © Jack Devant
Sanierung mit langer Leitung: Im vergangenen Sommer wurden für 13 Millionen Euro dringend notwendige Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. © Geoffroy Schied
Eine Wagner-Premiere im Interimsquartier, bei der das Haus akustisch in die Knie geht und ein Publikum mit Knalltrauma hinterlässt. Einbrechende Abo-Zahlen, 50 Prozent weniger Vorstellungen, Ensemble und Orchester wesentlich weniger beschäftigt, alles verbunden mit empfindlichen Einnahmerückgängen: Kann alles passieren, wenn in gut zehn Jahren die Generalsanierung des Nationaltheaters läuft. Dass dieses renoviert werden muss, ist schon lange bekannt. Und dass es noch immer keinen Plan gibt gefährliche Realität.
Noch keinen Plan für die Interimsnutzung
Ab 2034, so heißt es bisher, soll die Staatsoper geschlossen werden – wobei schon das Jahr 2040 im Raum steht. Damit der Spielbetrieb bis dahin aufrechterhalten werden kann, wurden im vergangenen Sommer für 13 Millionen Euro Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. Wie an vielen anderen Orten, die mit ähnlichen Komplettsanierungen kämpfen, lautet die wichtigste Frage: Wohin soll die Staatsoper während der großen Renovierung ziehen? Obgleich noch gut zehn Jahre ins Bayernland gehen, müsste schon jetzt eine Interimslösung auf den Weg gebracht und die Finanzierung gesichert werden.
Als Option gibt es die ehemalige Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke. Ein privater Investor möchte dort ein Kulturzentrum bauen. Da der Freistaat gerade gesteigerte Lust entwickelt, sich Bauten von anderen errichten zu lassen, um sie dann zu mieten (etwa beim Konzerthaus im Werksviertel), wäre die Variante Paketposthalle für die Staatsoper möglich. Doch immer wieder taucht auch eine andere Lösung auf, sie wäre für die Renommierinstitution eine schlechte: das Prinzregententheater.
Dieses bietet nur 1000 Plätze, im Nationaltheater werden bis zu 2100 Tickets verkauft. So verführerisch es wäre, ein Staatstheater vorübergehend in eine andere staatliche Institution ziehen zu lassen, so viele Probleme würde dies verursachen. Da die Theaterakademie als Eigentümerin des Prinzregententheaters selbst Abende veranstaltet und ihren Betrieb mit Vermietungen finanziert, könnte die Staatsoper dort wesentlich weniger Vorstellungen spielen. Verbunden wäre dies mit eklatanten Verlusten. Die Eigeneinnahmen lagen in der vergangenen Saison bei 31 Millionen Euro. Insider glauben, dass bei einer Interimsnutzung des Prinzregententheaters nur ein Drittel davon übrig bleibt. Der Freistaat müsste seinen Betriebskostenzuschuss von aktuell gut 80 Millionen Euro um einiges erhöhen.
„Das Prinzregententheater ist in dieser Diskussion ein Flaschenhals“, sagt auch Sanne Kurz, kulturpolitische Sprecherin der Grünen. „Es wird als Allzweckwaffe angesehen, ist aber als Interim für vieles ungeeignet. Es ist dringend geboten, dass in dieser Diskussion Druck auf den Kessel kommt.“ Auf Antrag der Landtags-Grünen soll nun das Kunstministerium endlich Informationen über sämtliche Kulturbau-Sanierungen liefern, gestern wurde das beschlossen. Mit der Teilrenovierung der Staatsoper vom vergangenen Sommer schlage man zwei Fliegen mit einer Klappe, argwöhnt Sanne Kurz. „Es wird vorgegaukelt, dass man superaktiv ist, obwohl in Wirklichkeit gar nichts passiert.“
Die Generalsanierung der Staatsoper ist nur ein Projekt im Rahmen der von CSU-Kunstminister Markus Blume so titulierten „Kulturkaskade“. Zunächst ist das Residenztheater dran, die Renovierung soll 2029 starten. Ein 880-Plätze-Haus. Während das Prinzregententheater als Interim hier eine Maßanfertigung wäre, würde das für die massige Staatsoper ein fünf Nummern zu kleines Slim-Fit-Kleidungsstück bedeuten. Und geht man davon aus, dass die Generalsanierung sechs bis acht, wenn nicht sogar mehr Jahre dauert, stellen sich ganz grundsätzliche Fragen: Wie soll die Institution in die 2050er-Jahre hinübergerettet werden? Will man an einem traditionellen Repertoirebetrieb festhalten oder nur noch ein Stagione-Haus anbieten, bei dem Neuproduktionen hintereinander abgespielt werden? Wie verträgt sich das mit dem Abo-System?
Das Ministerium verweist auf Anfrage, dass eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden sei. Erfahrungsgemäß gehen dabei zwei weitere, eventuell verlorene Jahre ins Land. Keine Details. Stattdessen wurde auf den 4. Dezember verwiesen. Blume will da im Marstall über seine „Kulturkaskade“ sprechen, zusammen mit Anna Kleeblatt und Markus Michalke von der Initiative Kulturzukunft Bayern. Es dürfte ein Gespräch unter Freunden werden.MARKUS THIEL