„Wir müssen endlich handeln“

von Redaktion

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey erhielten den Geschwister-Scholl-Preis für ihr Buch „Zerstörungslust“

Ausgezeichnet: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (2. v. li.) wurden von Klaus Füreder (li.) und Dieter Reiter mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt. © Yves Krier

Der wichtigste Satz in der Großen Aula der LudwigMaximilians-Universität fällt spät: „Wer glaubt“, sagt Oliver Nachtwey, „die Rechtsextremen zu schwächen, indem er ihre Politik kopiert, gar mit ihnen kooperiert, der hat aus der Geschichte nichts gelernt.“ Nachtwey, Professor für Sozialstrukturanalyse in Basel, und seine Kollegin Carolin Amlinger werden an diesem Abend mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Sie erhalten ihn für ihr Werk „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“, in dem sie unsere politische Gegenwart gewissenhaft und dennoch empathisch analysieren. Basis ihres Buchs sind Interviews und Beobachtungen – ihr methodisches Vorgehen dokumentieren die beiden in einem eigenen Kapitel. So entwickeln sie den Begriff des „demokratischen Faschismus“, also einer Geisteshaltung, „die mitten in der Demokratie entsteht: eine Mischung aus Ressentiment, regressiver Rebellion und faschistischen Fantasien, die Institutionen nutzt, um sie zugleich auszuhöhlen“, wie Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und Klaus Füreder, Vorsitzender des Landesverbands Bayern im Börsenverein des deutschen Buchhandels, als Preisstifter bemerken. Wie berichtet, ist der Geschwister-Scholl-Preis mit 10 000 Euro dotiert.

Wer etwa an die Umfragewerte der AfD denkt und ans Wahljahr 2026, wer in Länder wie die USA blickt, der weiß, wie aktuell „Zerstörungslust“ ist. „Viele zweifeln an der Effektivität der Demokratie, die drängenden Probleme der Gegenwart zu lösen“, sagen Amlinger und Nachtwey. „Nicht wenige wollen mit der liberalen Demokratie nichts mehr zu schaffen haben – mal aus Indifferenz, mal aus offener Verachtung.“

Für Laudator Thomas Krüger drückt das Buch zudem die „politische Brisanz einer notwendigen und angemessenen Mobilisierung, sich mit den Befunden auseinanderzusetzen und ins Handeln zu kommen, pointiert aus“. Denn – und das wird an diesem Abend sehr deutlich – es ist spät, aber nicht zu spät. Carolin Amlinger erinnert daran, dass sich auch Hans und Sophie Scholl von Nazi-Mitläufern zu Widerstandskämpfern entwickelt haben. Thomas Mann, auf den die Literatursoziologin in ihrer guten Rede immer wieder zurückkommt, hat seine Position zur Demokratie grundlegend verändert. Ihr Fazit: „Eine Umkehr im eigenen Leben ist möglich, ein politischer Wandel ist machbar.“ Die Mehrheit der Menschen, bemerken die Preisträger, steht für Demokratie, Zivilität und ein Miteinander. „Für den Moment müssen wir die AfD stoppen, uns der Politik der Grausamkeit widersetzen. Wir brauchen einen Aufstand der Demokraten, aller Demokraten.“MICHAEL SCHLEICHER

Carolin Amlinger/Oliver Nachtwey:

„Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“. Suhrkamp, Berlin, 464 S.; 30 Euro.

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