Macht Musik für mehrere Generationen: Komponist Uri Caine im Interview. © Marcus Schlaf
„Span of Being“ ist der Titel eines Multimedia-Kunstwerks, das heute im Pavillon 333 zwischen Pinakothek der Moderne und dem Museum Brandhorst seine Uraufführung erlebt. Es setzt sich mit dem über 500 Jahre alten Sieben-Generationen-Prinzip der indigenen Völker Nordamerikas auseinander. Das besagt, dass unser Handeln sich auf die Erfahrungen der sieben Generationen vor uns stützt und wir bei allen Entscheidungen die Auswirkungen auf die nächsten sieben Generationen berücksichtigen sollten. Der gefeierte Pianist und Komponist Uri Caine (69) hat Musik für ein Ensemble geschrieben, das mit Akkordeon, Bassklarinette, großer Bassblockflöte, Bratsche, Stimme und dem Komponisten am Flügel ungewöhnlich besetzt ist. Es tritt in Interaktion mit einem Chor, einem von Gert Heidenreich verfassten und live vorgetragenen Text sowie mit einer Video- und Rauminstallation von Stefan Winter und Mariko Takahashi. Wir haben vor dem Beginn der Proben mit Uri Caine gesprochen.
Wie sind Sie auf das Sieben-Generationen-Prinzip gestoßen und wie gehen Sie musikalisch damit um?
Stefan Winter, mit dem ich schon lange zusammenarbeite, schlug das Projekt vor, und ich begann darüber nachzudenken, wie ich das musikalisch ausdrücken könnte. Also habe ich mich mit der symbolischen Kraft der Sieben beschäftigt und beschlossen, Musik zu schreiben, die viele Siebener enthält, etwa Intervalle von sieben, Siebener-Taktarten, Melodien mit sieben Noten und so weiter. Idealerweise sollte jedes Stück 77 Sekunden lang sein, sodass es insgesamt sieben mal sieben Sätze à 77 Sekunden geben würde, was eine Stunde Musik ergibt. Es gibt also 49 Stücke, aber wir werden sehen, wie es am Ende aussieht. Ich habe bestimmte Teile komponiert, aber es gibt auch improvisierte Teile.
Sind Sie der einzige Musiker, der improvisiert?
Bassklarinettist Gareth Davis hat Erfahrung mit freier Improvisation und Sängerin Anna Linardou improvisiert auch, aber ich glaube, die anderen kommen eher aus dem klassischen Bereich. Also habe ich sie gefragt: Möchtest du eine deiner 77 Sekunden improvisieren? Einige sagten, sie würden es vielleicht versuchen, vielleicht auch nicht, was in Ordnung ist. Ich möchte, dass sich aus der Abfolge der Stücke eine Art musikalische Logik ergibt, die die Idee von sieben Generationen ausdrückt. Diesen Einfluss, der immer irgendwie vorwärts und rückwärts geht. Wenn man bestimmte Kunstformen liebt und studiert, wie alles zusammenhängt, ist es schön, diese Entwicklung zu sehen. Und so kann unsere Musik vielleicht auf einer bestimmten Ebene verschiedene Arten von Musik beinhalten, die die Menschen über Generationen hinweg gehört haben.
Haben Sie die Besetzung ausgewählt?
Das war Stefan Winters Idee. Ich kenne keinen der Musiker, habe noch nie mit einem von ihnen gespielt. Also habe ich etwa dem Akkordeonspieler Teodoro Anzellotti geschrieben, dass ich noch nie Musik für Akkordeon geschrieben habe. Seine Antwort lautete: Schreib es einfach, und dann schauen wir, was passiert. Von der Sängerin Anna Linardou habe ich mir Aufnahmen angehört, sehr schön. Also habe ich versucht, einige Stücke vielleicht in Richtung ihrer Musik zu strukturieren. Wir müssen uns erst einmal zusammenfinden. Bei meinen vielen Jazz-Projekten kenne ich die Musiker, aber in der klassischen Welt wird man zu etwas eingeladen, kennt aber niemanden. Das ist also eine andere Dynamik.
Es gibt verschiedene Interpretationen des Sieben-Generationen-Prinzips. Einige sagen, alle 25 Jahre werde eine neue Generation geboren, andere rechnen mit 90 Jahren als maximale Lebensspanne eines Menschen. Wie sehen Sie das?
Ich sehe es mehr als eine Metapher für die Idee, dass es diesen ständigen Dialog mit der Vergangenheit gibt und dass Menschen darüber nachdenken, was die Gegenwart ausmacht, wie die Zukunft aussehen wird. Die Musik umfasst all das, nach einer Weile wird es einfach Teil des großen Ganzen. 77 Sekunden halte ich für eine gute Sache, weil man viel andeuten kann und dann fertig ist. Es geht also eher um diese Idee der Miniaturen als darum, eine Struktur zu schaffen.
Das Publikum darf sich also auf genreübergreifende Musik einstellen?
Es ist eine Kombination: Wir spielen etwas, das man als zeitgenössische klassische Musik bezeichnen würde, und dann kommt ein Stück, das vielleicht auf Barockmusik mit moderneren Harmonien verweist, ein Stück, das vielleicht nach Salsa oder wie ein Tango klingt. Je älter ich werde, desto mehr bin ich überwältigt von der unendlichen Vielfalt von Musik.
„Span of Being“
im Pavillon 333, Türkenstraße 15. Premiere heute, 19 Uhr, danach täglich bis Sonntag, 19.30 Uhr.