MEIN LIEBLINGSKUNSTWERK

Aus Betrachter wird Beteiligter

von Redaktion

Wann immer ich eine Arbeit von Joseph Beuys sehe, bin ich im Innersten berührt. Die Begegnung löst einen Reflex aus und ich erinnere mich an meine Jugend in Kassel, an die ersten Begegnungen auf der documenta mit ihm und seinen zahlreichen Werken. Ich spüre die Energie, die durch die Auseinandersetzung mit seinem Kunstbegriff ausgeht. Fenster und Perspektiven öffnen sich, die die Möglichkeiten und den Reichtum der bildenden Kunst aufzeigen. Ich denke an „Die Honigpumpe am Arbeitsplatz“, die „Verwaldung der Stadt Kassel“, „7000 Eichen“. Und an die „Free International University“, jenes Forum, in dem Joseph Beuys 100 Tage lang – von morgens bis abends – über die Kunst als soziales Projekt diskutierte. Beuys hat mich gelehrt, Kunst zu sehen – und zu denken. Ich bewundere ihn noch heute, denn nichts ist in seiner Radikalität vergleichbar mit seinem Werk. Begehe ich heute in der Pinakothek der Moderne „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ (1983) – dessen Steine übrigens aus einem Steinbruch in der Nähe von Kassel stammen –, so fühle ich mich nicht als Betrachter, sondern als Beteiligter. Ich stehe nicht vor dem Werk, ich bin mitten darin. Es ruft Assoziationen wach: an Stonehenge, an griechische und ägyptische Säulen, die zu Boden gefallen sind. Für mich ist die Arbeit eine klare Aufforderung: den Blick über die Errungenschaften der Vergangenheit hinaus auf das 21. Jahrhundert zu richten. (Fs.: Ruth Kappus/privat)STEFAN HUNSTEIN, SCHAUSPIELER UND FOTOKÜNSTLER

Artikel 5 von 6