Helfer und Hoffnungsträger: Samuel Finzi als Philipp Auerbach (hier in einer Szene mit Edmund Telgenkämper, vorne), der nach der Shoah Anlaufstelle für die Überlebenden ist. © Julian Baumann/MK
Kurz vor Schluss dieser rasanten 130 Minuten bremst die Inszenierung beinahe bis zum Stillstand. Es ist der wahrhaftigste Moment an einem so klugen wie komischen Abend, an dem Witz und Wut, Humor und Härte, Glitzer und Galle miteinander über die Bühne der Münchner Kammerspiele tanzen. Gerade hat Samuel Finzi „Shir LaMa’alot“ gesungen, das hebräische Lied nach Psalm 121 kündet vom tiefen Gottvertrauen der Jüdinnen und Juden.
Kaum hat der Schauspieler geendet, ist der Antisemitismus nicht mehr zu überhören, der bis dato subkutan das neue Stück von Avishai Milstein durchzog. „Wie können Sie es wagen, sich jüdisches Kulturgut anzueignen und für Ihren Kitsch zu missbrauchen?“ belfert etwa Beate, die örtliche Antisemitismus-Beauftragte, die ihre Vorurteile, ihren Judenhass stets als Engagement verkleidet, wie Wiebke Puls bei der Gestaltung der Figur in vielen kleinen Momenten zeigt.
Ja, nichts ist, wie es scheint (oder eben doch) in „Play Auerbach!“, dem Auftragswerk, das Milstein für die städtische Bühne geschaffen hat. Geboren wurde der Autor 1964 in Tel Aviv, an der Isar hat er studiert – am Donnerstag wurde seine „Münchner Erinnerungsrevue“ im Schauspielhaus uraufgeführt. Die Inszenierung von Sandra Strunz wurde mit heftigem Applaus und Standing Ovations gefeiert. Vollkommen zu Recht.
Milstein ist an der Maximilianstraße kein Unbekannter. Sein Dramolett „Dualidarität“ entstand für die Reihe „Schreiben über ,Die Situation‘“, mit der jüdische Autorinnen und Autoren auf das Massaker der Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 reagierten (wir berichteten).
Ins Zentrum dieser Revue hat er Philipp Auerbach (1906-1952) gestellt, eine verdrängt-vergessene Figur der Nachkriegsgeschichte. Die US-Army berief den Überlebenden der Shoah 1946 zum bayerischen Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte. Er wurde Helfer und Hoffnungsträger der Geretteten, entwickelte Konzepte zur Wiedergutmachung, schuftete für eine Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland. Sein unbürokratischer Ansatz scheiterte. Mehr noch: In einem Schauprozess musste sich Auerbach 1952 vor einstigen Nazi-Richtern verantworten – den einzigen Ausweg sah er im Suizid. Der Landtag rehabilitierte ihn zwar. Dennoch verschwand er aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Avishai Milstein holt ihn dorthin zurück. Und mehr: „Play Auerbach!“ ist eine glasklare Analyse des alten und aktuellen Judenhasses sowie ein unsentimentaler Blick in die Geschichte Münchens und der Kammerspiele. Dass dieser Text einerseits derart kurzweilig ist und andererseits so sehr in die Tiefe geht, macht die Stärke des Abends aus. Sandra Strunz hat für ihre Inszenierung den Untertitel wohltuend ernst genommen und (fast) alle Elemente einer hinreißenden Revue ausgepackt, die das Theaterlexikon kennt. Ihre Regie zitiert Stilmittel des Kabaretts, des Lehrstücks sowie des höheren Nonsens, sodass Zuschauen ein echtes Fest ist. Rainer Süßmilch und Philipp Haagen komponierten und interpretieren Musik zwischen kleinen Jazz-Nummern und großer Show, zwischen Varieté, Kurt Weill und allerhand Schrägem. Ja, sie bringen selbst Misstöne zum Klingen.
Das Ensemble singt und tanzt, spielt und chargiert mit Verve. Natürlich steht Samuel Finzi, für diese Arbeit als Gast ans Haus gekommen, im Zentrum der Produktion. Ihr Gelingen aber ist Teamleistung. MICHAEL SCHLEICHER
Nächste Vorstellungen
am 9., 12. und 19. Dezember;
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