Wenn Individuen verschmelzen

von Redaktion

Das Staatsorchester konzertiert unter Kirill Petrenko am Pult mit Pianist Daniil Trifonov

Es war eine Schicksalsgemeinschaft für zwei Stunden: das Bayerische Staatsorchester mit Ex-Generalmusikdirektor Kirill Petrenko herzlich willkommen als Gast zurück am Pult. Und Daniil Trifonov mit seinem Solisten-Einstand beim Akademiekonzert im ausverkauften Nationaltheater.

Doch Petrenko bewies, dass er nicht auf theatralische Gewitter aus war. Das d-Moll-Donnergrollen, die Motivblitze am Beginn von Brahms’ 1. Klavierkonzert wurden fein abgefedert, auch das lyrische Thema wogte hier fast rheingolden. Trifonovs Einsatz schien zunächst ungestümer. Doch das zeigte nur die Lebendigkeit dieses großartigen Konzertierens, bei dem man sich uneigennützig zuhörte, sanglich duettierte, einvernehmlich verständigte: eher kammermusikalisch als symphonisch. Gerade in den Bläsern gab es ein Verschmelzen von erkennbar bleibenden Individuen: mit ernster Zärtlichkeit – der zweite Satz ein Traum von Liebe.

Beethovens Einfluss ist bei Brahms leicht aufzuspüren. Hier aber hörte man auch Bach: humorvoll im Orchester bei der Fugen-Episode des Rondos. Und bei Trifonov in mit plastisch formender linker Hand, differenzierter Pedaltechnik gestalteter Mehrstimmigkeit. Nah am Choral gebauter Terzen-Seeligkeit. Selbst die Zugabe, eine aberwitzige Speed-Fuge von Tanejew, behielt Übersicht aufs Stimmgeflecht.

Auch Tschaikowskis 4. Symphonie wrang nichts aus greller Gefühligkeit, was sie aus musikalischem Material entwickeln konnte. Mit sachlicher Fanfare kündete sich das „Fatum“ an, sein Lauf blieb am Zügel. Die Satz-Enden aber entluden, wie viel sich innerlich doch ereignete: die Akkorde im Kopfsatz mit „Don Giovanni“-Wucht. Berührend das Verhallen des Andantino. Und nach dem Pizzicato-Scherzo als Pfotenhuschen einer enorm disziplinierten Mäuse-Armee kam das Finale ungewohnt straff. Gewaltiger Jubel.THOMAS WILLMANN

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