INTERVIEW

„Wir sind alle Mitläufer“

von Redaktion

Nikolaus Habjan über Rückgrat und seinen Wiener „Fidelio“

Mit dem Dirigenten Karl Böhm, einem Sympathisanten der Nationalsozialisten, setzt sich Nikolaus Habjan in seinem Stück „Böhm“ auseinander. Der Umstrittene stand 1955 am Pult der wiederaufgebauten Wiener Staatsoper – die mit „Fidelio“ eröffnet wurde. © Thomas Aurin

Es sind kultige, lieb gewonnene Museumsstücke: Seit 1969 wird „La bohème“ an der Bayerischen Staatsoper in einer unveränderten Inszenierung gespielt, „Hänsel und Gretel“ am Gärtnerplatz seit 1974. Und 55 Jahre lang lief Beethovens „Fidelio“ an der Wiener Staatsoper in Otto Schenks Regie. Nikolaus Habjan, Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer, sorgt dort für einen Schnitt mit seiner Neuinszenierung. Ein Gespräch über zeitlose Theatersprachen, Duckmäuser und das Feuer der Freiheit.

Wenn Sie auf Ihre Opernarbeiten zurückschauen: Ist „Fidelio“ Ihre härteste Musiktheaternuss?

Der „Fidelio“ gehört zu meinen drei härtesten Nüssen. Ganz oben steht Carl Maria von Webers „Oberon“, den ich ja für München inszeniert habe. Beethovens Oper ist einfach eine unglaubliche Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger – und dramaturgisch sowieso.

Was entgegnen Sie den Opernfans, die nun sagen, der Habjan nimmt ihnen ihre schöne alte Museumsproduktion weg?

Mein Anspruch ist ja nicht, alles umzuwerfen. Ich versuche, mit einem zeitlosen Zugriff und auch mit dem aktuellen Stand der Bühnentechnik diese Geschichte zu erzählen. Dies aber mit einer großen Liebe zum Stück und mit einem großen Wissen um die Geschichte von „Fidelio“ an der Wiener Staatsoper.

Was bedeutet das? 1955 wurde die Wiener Staatsoper mit „Fidelio“ wiedereröffnet.

Mit dem damaligen, auch umstrittenen Dirigenten Karl Böhm habe ich mich schon in meinem Stück „Böhm“ auseinandergesetzt. Insofern kann ich diese Aspekte ausklammern. Ich bemühe mich einfach, das Werk, so wie es Beethoven und seine Librettisten gedacht haben, auf die Bühne zu bringen. Ich will „Fidelio“ nicht in einer bestimmten Zeit verorten. Ich lese das Stück als eine große idealistische Fabel, die sich um Befreiung und Gleichheit dreht.

Beethoven ist ein Komponist, der auch missbraucht wurde und mit dem sich etwa die Nationalsozialisten selbst feierten. Was hat diese Musik, dass ihr so etwas passierte? Mozart kann doch dagegen gar nicht missbraucht werden.

Wenn man sich geschickt anstellt, kann man alles missbrauchen. Davor ist kein Werk gefeit. Beethovens Musik hat allerdings diese ungezügelte, kompromisslose Kraft. Dadurch wird sie sehr attraktiv für Missbraucher. Mir ist es ganz wichtig, „Fidelio“ nicht dystopisch zu sehen, sondern wirklich dieses Happy End, das von Beethoven intendiert ist, in aller Härte durchzuziehen. Die Musik ist hart. Sie hämmert uns die Freiheit förmlich ein. Das ist aber nichts Aggressives. Es ist eher wie ein großes Feuer, das uns erheben soll.

Verführt der „Fidelio“ demnach automatisch zu einer politischen Deutung?

Ich bin generell jemand, der das Publikum nicht bevormunden möchte. Es soll selbst entscheiden, was ein Werk mit ihm macht. Mit Sog erreicht man mehr als mit dem Hammer. Es geht darum, das Publikum emotional zu bewegen. Wenn man wie hier Leonore verfolgt, eine Frau, die alles auf sich nimmt, um ihren Mann Florestan zu befreien, dann kann man vielleicht etwas für sich mitnehmen. Oder auch Parallelen ziehen zu aktuellen politischen Ereignissen – die ich aber nicht auf die Bühne stellen möchte.

„Fidelio“ feiert auf eine monumentale Weise die Freiheit. Ist das gerade das vordringlichste politische Thema, das für die Bühne wichtig ist? Oder resultieren nicht die meisten Probleme aus der Situation im Kleinen, aus fehlender Toleranz etwa?

Ein guter Punkt. Letzteres steckt auch im „Fidelio“ drin. Für mich ist die spannendste Figur nicht Leonore, sondern Rocco. Er ist die eigentliche Identifikationsfigur. Ein kleiner Mitläufer. Und da muss ich selbstkritisch für uns sprechen: Wir sind alle Mitläufer. Rocco ist aber jemand, der sich irgendwann dazu entscheidet, sich nicht von Pizarro beeinflussen zu lassen, sondern von Fidelio. Durch diese winzig kleine Wahl werden große Weichen gestellt. Plötzlich trifft Rocco Entscheidungen, die ihm nichts nützen, sondern die menschlich groß sind. Es beginnt damit, dass er den Gefangenen erlaubt, für zehn Minuten an die Sonne zu gehen. Als Nächstes gönnt er Florestan im Kerker ein Stückchen Brot. Später lässt er Pizarro abführen – und unterbricht sogar den Minister in seiner Rede. Am Ende bekennt er sich zu seiner Mitschuld. Man schaut zu, wie Rocco im Laufe des Stücks ein Rückgrat wächst. Das ist die Botschaft von „Fidelio“: Man muss nicht der Held sein, aber man kann sich seine Helden aussuchen.

Also besteht gerade die Gefahr, dass wir uns zurückentwickeln zu der Gesellschaft am Anfang des ersten Akts, wo alle den Kopf in den Sand stecken und vor der gesellschaftspolitischen Situation kapitulieren.

Genau. Nicht nach außen schauen, man kann eh nichts machen. Warum soll ich wählen gehen? Ich habe doch nur eine Stimme, da kann ich nichts machen. Solche Sachen, solche kleinen falschen Annahmen. Ich sehe den „Fidelio“ als realistische Fabel.

Artikel 2 von 11