Letzte Minuten eines Liebespaares: Rodolfo (Benjamin Bernheim) betrauert die schwindsüchtige Mimì (Gabriella Reyes). © Geoffroy Schied
Es ist ein in jeder Hinsicht großer Staatsopernabend. Die Wiederaufnahme von Puccinis „La bohème“ zeigt, wie mühelos ein fast 60 Jahre altes Konzept heute noch tragen kann. Otto Schenks Inszenierung von 1969, die seitdem manche Änderung erfahren haben dürfte, aber von der Abendspielleitung im Schenk’schen Geiste erhalten wurde, wirkt keineswegs museal, sondern vollständig lebendig: präzise Personenführung, erzählerische Klarheit und eine emotionale Bildsprache, die das Publikum nicht belehrt, sondern hineinzieht. Herrlich musiziert wird auch noch – was will man mehr?
Schenk betrieb Regietheater im besten Sinne des Wortes. Hier wird nicht an der Rampe gesungen, hier wird gespielt, gelebt, reagiert. Die Bühnenbilder schaffen Atmosphäre von großer Schönheit – auch wenn in der Mansarde so viel Holz vorhanden ist, dass man den Winter problemlos hätte durchheizen können. Doch es geht nicht einfach um Realismus, sondern darum, die echte, ungeschönte Welt mit ihren Härten zu zeigen und das Publikum dabei emotional mitzunehmen. Solche stringenten, werkdienlichen Konzepte wirken dann nachhaltiger als viele postmoderne Entstellungen – beispielsweise eine „Bohème“ im Baumarkt.
Musikalisch trägt Nicola Luisotti den Abend mit großer Leidenschaft. Der Italiener entfaltet Puccinis Partitur horizontal, mit ausschwingend flüssigen Tempi und weiten Spannungsbögen. Gelegentliche Lautstärke-Überschüsse trüben den Gesamteindruck kaum. Es ist auffällig, dass das Bayerische Staatsorchester besonders unter italienischen Dirigenten mit entsprechendem Stilgefühl zur Höchstform aufläuft.
Gleich zweimal musste krankheitsbedingt umdisponiert werden, bis schließlich Gabriella Reyes kurzfristig einsprang – am Vorabend eingeflogen aus Großbritannien. Als Mimì ist die US-Amerikanerin mit nicaraguanischen Wurzeln mit ihrem runden, goldwarmen Timbre und vor allem dank ihrer farbenreichen, tragenden Mittellage bei ihrem Hausdebüt ein Glücksfall.
Benjamin Bernheim gibt dazu einen Rodolfo von seltener stimmlicher Noblesse. Sein heller, edler Tenor formt große Bögen ohne jede Prahlerei. Das hohe C in „Che gelida manina“ ist kein artistischer Effekt, sondern organischer Höhepunkt einer musikalischen Linie. Juliana Grigoryan gewinnt als Musetta spätestens in „Quando m’en vo“ eine berührende Innigkeit. Als Marcello überzeugt Andrzej Filończyk mit markanter Kernigkeit; German Olvera und Roberto Tagliavini runden die Bohème-Gemeinschaft stimmig ab. So wird diese Wiederaufnahme zu einem rundum geglückten Opernabend – die selten geworden sind im Repertoire des Hauses.WILLI PATZELT
Weitere Vorstellungen
am 17., 20., 23. und 26. Dezember; Telefon 089/2185-1960.