NACHRUF

Ein Künstler mit vielen Gesichtern

von Redaktion

Filmemacher Rosa von Praunheim ist im Alter von 83 Jahren in Berlin gestorben

Am vergangenen Freitag erst hatte von Praunheim seinen langjährigen Partner Oliver Sechting geheiratet. © Insta

Er war ein Tausendsassa bis zuletzt: Rosa von Praunheim. Seine Bedeutung als Wegbereiter selbstbewussten homosexuellen Lebens kann man nicht überschätzen. © Jörg Carstensen

Zwei kleine blaue Laubfrösche hatten sie zum Zeichen ihrer Liebe gewählt. Am vergangenen Freitag haben Rosa von Praunheim und Oliver Sechting ihre Beziehung offiziell bestätigen lassen und geheiratet. Die Amphibien zieren ihre Eheringe. Ein Paar waren die beiden seit mehr als zwei Jahrzehnten – Eheleute nur fünf Tage lang. Gestern ist der Filmemacher Rosa von Praunheim im Alter von 83 Jahren in seiner Wahlheimat Berlin gestorben. Zur Todesursache wurde zunächst nichts bekannt.

Er outete Kerkeling und Biolek gegen ihren Willen

Er war ein Tausendsassa bis zuletzt. Die jüngste Einladung zu einer Vernissage hat er dem Autor dieser Zeilen Anfang November geschickt. „Rendezvous of Friends“ versammelt aktuelle Gemälde. Überhaupt hat der Künstler sich in seinen letzten Jahren wieder verstärkt der Bildenden Kunst zugewandt. Unvergessen die herrliche Aufregung um seine Schau „Jesus liebt“, die vor zwei Jahren in Nürnberg einen mittelprächtigen Skandal auslöste. Nach massiver öffentlicher Kritik hatten sich die Verantwortlichen entschieden, die Ausstellung zunächst vorläufig, dann endgültig zu schließen. In München lief sie dann in der Galerie Kunstbehandlung im Glockenbachviertel. Ohne Aufjaulen selbsternannter Tugendwächter.

Praunheim freute die eine wie auch die andere Reaktion. Kunst hat er immer als grenzverschiebend begriffen, als politisch im konkreten Sinn. So wurde er zudem, was heute viele Medien „Schwulen-Ikone“ nennen. Dabei wird übersehen, welchen Kämpfen sich dieser Mann stellen musste. Innerhalb der queeren Community, erst recht außerhalb.

Und das seit seiner Geburt: Erst im Jahr 2000 verriet seine damals 94-jährige Mutter Gertrud Mischwitzky ihrem Sohn, dass er adoptiert wurde. Von Praunheim begab sich auf Spurensuche, die ihn bis ins Zentralgefängnis nach Lettland führte. Dort brachte Edith Charlotte Radtke ihren Holger 1942 zur Welt; 1946 verhungerte sie in einer Psychiatrie in Berlin. Im Dokumentarfilm „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ (2007) erzählt Rosa von Praunheim davon. Das Werk findet sich heute in der Sammlung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Holger und seine Adoptiveltern flohen 1953 aus Brandenburg in den Westen; in Frankfurt wurde der Junge erwachsen. An der Schule war es sein Deutschlehrer, der ihm Mut machte, sein kreatives Talent auszuleben. Das war seine Rettung, ebenso wie die Freundschaft zur deutlich älteren Gräfin Nora von Stolberg-Stolberg, lange Zeit seine Muse. Zwar begann er ein Malerei-Studium in Westberlin, doch das Arbeiten in festen Strukturen hat ihm bereits damals nicht getaugt. Seit den Sechzigern arbeitete er frei. In dieser Zeit wählte er auch seinen Künstlernamen: Rosa erinnert an den Rosa Winkel – die Nazis kennzeichneten damit in den KZs Homosexuelle – und Praunheim an den Frankfurter Stadtteil, in dem er groß wurde.

Rosa von Praunheim entdeckte rasch den Film als sein Medium. Es entstanden zig Kurz- und Experimentalfilme, sehr viel Avantgarde. Ihr Regisseur wurde zur wichtigen Figur des Neuen Deutschen Films. 1971 dann sein Durchbruch mit dem Spielfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Was heute oft falsch verstanden wird: Das Werk ist weniger eine Anklage der heterosexuellen Mehrheit, sondern der queeren Gemeinschaft – Rosa von Praunheim hielt nichts von Heimlichtuerei, überhaupt nichts.

Der Begriff „Schwulen-Ikone“ wird ihm nicht gerecht

Das hatte unschöne Folgen, vor allem seine zu Recht kritisierten Zwangs-Outings von Hape Kerkeling und Alfred Biolek in einer Fernsehsendung. Das hatte aber auch sehr wichtige gesellschaftspolitische Auswirkungen. Die Produktion war Geburtshelfer der politischen Emanzipationsbewegung der Schwulen und Lesben. Die Bedeutung ihres Regisseurs als Aktivist und Wegbereiter selbstbewussten homosexuellen Lebens kann man nicht überschätzen.

Ans Ende von privaten Textnachrichten setzte Rosa von Praunheim gerne das Emoji einer rosa Blume. Es ist ein Trost zu wissen, dass sein Leben und sein Schaffen ebenso schön erblüht sind.MICHAEL SCHLEICHER

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