MEIN LIEBLINGSKUNSTWERK

Wahrnehmung wird zum Erlebnis

von Redaktion

Wann immer ich das Atrium des Lenbachhauses in München betrete und meinen Blick nach oben schweifen lasse, werde ich von Ólafur Elíassons „Wirbelwerk“ empfangen, einer spiralförmigen, lichtdurchfluteten Skulptur, die sich wie ein überdimensionales Kaleidoskop von der Decke herabschraubt. Licht, Glas, Metall und Raum verbinden sich zu einer Bewegung, die mich an jene besonderen Momente auf der Bühne erinnert, in denen Musik, Stimme und Raum im Einklang atmen.

Ich stehe nicht einfach davor, ich bewege mich darunter, werde selbst Teil des Wirbels, getragen von der Energie der Form. „Wirbelwerk“ bringt Kräfte ins Museum, die wir fühlen und nicht sehen: Lichtreflexe tanzen über Wände und Boden, Schatten und Farben lösen sich je nach Tageslicht neu. Für mich ist das ein Aufruf: Die Kunst darf nicht nur betrachtet werden, sie möchte erlebt, durchschritten, mitgedacht werden.

Gerade darin liegt die intellektuelle Kraft dieser Arbeit: Sie zeigt, wie sehr Wahrnehmung ein aktiver, schöpferischer Vorgang ist. „Wirbelwerk“ verwandelt das Atrium in ein Experimentierfeld für Licht, Zeit und Bewegung. In diesem Raum wächst etwas Größeres als das Einzelne: Wahrnehmung wird zum Erlebnis, der Augenblick zur Erinnerung. Und vielleicht ist das seine schönste Wirkung: Es setzt uns in Bewegung, noch bevor wir es selbst bemerken. (Fotos: Felix Hörhager/Sebastian Kahnert/dpa)SERGE DORNY, INTENDANT BAYERISCHE STAATSOPER

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