Die Stimme der normalen Leute

von Redaktion

Trauer um Chris Rea: Der Gitarrist und Sänger ist im Alter von 74 Jahren gestorben

Abschied für immer: Chris Rea auf der Bühne. © Georgios Kefalas / dpa

Es gibt Menschen, denen ist die Rolle des Rockstars auf den Leib geschnitten. Und es gibt Menschen wie Chris Rea, die dermaßen sympathisch und zurückhaltend rüberkommen, dass man kaum glauben kann, dass sie Dauergast in den Radio-Playlisten sind. Auch heuer wieder läuft „Driving home for Christmas“ seit Wochen mehrmals täglich über alle Sender. Und es wirkt wie bittere Ironie, dass der Mann, der diesen unsterblichen Weihnachts-Hit geschrieben hat, nun selbst kurz vor dem Fest nach Hause gegangen ist. Chris Rea ist am Montagmorgen im Alter von 74 Jahren gestorben, nach kurzer Krankheit in einer Klinik, wie ein Sprecher im Auftrag der Familie mitteilte.

Wie der Mann selbst hat sich Reas Musik nie aufgedrängt – und höchstwahrscheinlich war das das Geheimnis ihres Erfolgs. „Driving home for Christmas“ handelt davon, dass sich ein ganz normaler Typ darauf freut, an Weihnachten seine Lieben wiederzusehen. An der roten Ampel schaut er rüber zum Fahrer nebenan, und er sieht: Dem geht es ganz genauso.

Uns allen geht es ganz genauso. Mit der Romantik in den bluesig-melodischen Songs des Sängers mit der rauchigen Stimme konnte man sich identifizieren, schon bei seinem ersten Hit von 1978, „Fool (if you think it‘s over)“, aber auch bei den unzähligen, die da kommen sollten: „I can hear your Heartbeat“, „Josephine“, „Auberge“, „Julia“. Sie enterten zuverlässig die Charts – unabhängig davon, ob gerade New Wave, Synthie-Pop, Disco oder Hardrock angesagt waren. Das ewig aktuelle sozialkritische Stück „The Road to Hell“ machte ihn 1990 dann doch noch fast zum Star, aber halt auch nur fast. Seine Platten mochten sich verkaufen wie dieser Tage Tamiflu – 30 Millionen waren es am Ende insgesamt –, aber Rea selbst blieb bescheiden.

Geboren wurde er am 4. März 1951 in englischen Middlesbrough, er stammt aus einer italienisch-irischen Familie – und lange Zeit half er seinem Vater in dessen Eis-Café. Seine erste Gitarre kaufte er erst in seinen frühen Zwanzigern. Er liebte den Blues, und zwar in seiner rohen Form, wie ihn die Pioniere Charlie Patton und Blind Willie Johnson gespielt hatten. „Rockmusik war in der Arbeiterklasse der einzige Weg, um kreativ zu sein“, sagte er später. Der Autodidakt spezialisierte sich auf die Slide-Gitarre wie sein Vorbild Ry Cooder – die Töne werden dabei erzeugt, indem man ein Röhrchen über den Gitarrenhals gleiten lässt, was ihnen einen wehmütigen Klang verleiht. Nach frühen Gehversuchen bei der Band Magdalene (die kurz zuvor der Sänger David Coverdale verlassen hatte, um zu Deep Purple zu wechseln), versuchte Rea es solo – und hatte sehr bald Erfolg, wenn auch nicht mit der Musik, die er liebte. „Für das, was ich machen wollte, hatte ich bei der falschen Plattenfirma unterschrieben.“

Doch nachdem er in den Achtzigern und frühen Neunzigern ein Abonnement auf Hitparaden-Platzierungen gehabt hatte, verließ ihn sein Glück zur Jahrtausendwende – vor allem gesundheitlich. Nachdem er bereits eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung überstanden hatte, wurde bei ihm 2001 Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt. In einer 16-stündigen Operation in Deutschland wurden die Drüse und Teile des Magens entfernt, später sogar noch eine Niere. Von den Operationen sollte er sich nie vollständig erholen. 2016 erlitt er bei einem Pub-Besuch sogar einen Schlaganfall, konnte zunächst weder richtig sprechen noch Gitarre spielen. Er kämpfte sich zurück auf die Bühne, brach aber nach wenigen Konzerten während eines Auftritts zusammen. Seine offizielle Abschiedstour gab Chris Rea bereits 2006 – und wer in der Münchner Muffathalle dabei war, konnte einen echten Blues-Meister erleben, der mitunter geradezu wütend zu Werke ging. Mit Henry Mancinis melancholischem „Moon River“ ging er von der Bühne.

Rea hinterlässt seine Ehefrau Joan, mit der er schon als Teenager zusammen war. Das Paar hat zwei Töchter, Josephine und Julia, über die Rea jeweils einen Hit geschrieben hat. In Amerika auf Tour zu gehen, hätte ihm dort sicher zum Durchbruch verholfen – aber er wollte einfach nicht so lange von seinen Frauen getrennt sein. Und wir normalen Typen, wir können das sehr gut nachfühlen.

Einer der letzten Songs, die er 2006 in München spielte, war „I can hear your Heartbeat“. Darin heißt es: „We made the Best of what we got.“ „Wir haben das Beste gemacht aus dem, was wir hatten.“ Da hatte sich Chris Rea wahrlich nichts vorzuwerfen.JOHANNES LÖHR

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