PREMIERE

Liebe im Nachtschatten

von Redaktion

Das Bayerisches Staatsballett zeigt den Dreiteiler„Waves and Circles“

Eine Erweiterung des freien Tanzstils bietet die Uraufführung „Megahertz“, hier eine Szene mit Carollina Bastos und Severin Brunhuber. © Nicholas Mackay

Kunst bleibt nie stehen, erfindet ständig neue Formen. In der Musik, in der Malerei ist das eine Selbstverständlichkeit. Und wird auch so wahrgenommen und geschätzt. Und im Tanz? Die Gestaltung von Bewegung hatte immer schon weniger Anerkennung. Vielleicht, weil sie im menschlichen Körper ihren Ausdruck findet? Wie auch immer – nach Kult- und Volkstänzen, nach dem höfischen, dann klassischen Ballett entwickelten sich neue freie Tanzstile. Und letztlich wollen auch traditionelle Institutionen wie das Bayerische Staatsballett zeitgenössische Trends nicht verpassen. „Waves and Circles“ ist der neue Dreiteiler betitelt, der im Münchner Nationaltheater mit euphorischem Applaus gefeiert wurde.

Traumhaft schön die Eröffnung des Abends mit William Forsythes „Blake Works I“, kreiert 2016 für 21 Mitglieder des Balletts der Pariser Oper. Dieser radikale Erneuerer verbeugte sich hier vor dem traditionellen klassischen Können des Pariser Balletts. Er hatte ja bereits ab den Siebzigerjahren für das Pariser Ensemble choreografiert, damals in seinem eigenen, in die schräge Moderne zielenden Stil. Aber die Rückbesinnung auf die Klassik ist ihm bestens gelungen – natürlich mit einem zeitgenössischen Atem.

Es scheint uns so, als ob die 24 Ensemblemitglieder, einheitlich in weißen Outfits, über die Bühne schwebten – in geschlossener großer Gruppe, in Pas de deux und Pas de trois und in Soli. Und zwar in hohem Tempo. Dabei ist jede Bewegung des Beins, jede Armgeste wie geschnitten in den Raum gesetzt. Forsythe sparte tatsächlich nicht mit knifflig hochklassischem Vokabular, von Arabeske, Attitüde und Pirouette bis zu den „Tendus“ der Füße.

Aber die Ausführung in dieser höchst rapiden und scharf konturierten Form schiebt die gewohnte klassische Sprache dann doch ein Stück weit in die Gegenwart. Und überraschend Forsythes historisches Augenzwinkern mit eingeflochtenen dekorativ theatralen Armgesten – möglicherweise aus dem „Ballet de Cour“ des tanzfreudigen Louis XIV. im 17. Jahrhundert. Durchaus passend die Songs aus James Blakes Album „The Colour in Anything“.

Die Uraufführung „Megahertz“ von der Britin Emma Portner fordert unsere Fantasie. Der Titel, vereinfacht gesagt, bezieht sich auf elektromagnetische Wellen. Und irgendwie müssen wir uns einlassen auf Portners künstlerische Wellen. Ihre Inspiration war ein Song des britischen Musikers Paddy McAloon aus den Achtzigern. Der in und zwischen der Musik gesprochene Text ist ein Selbstbekenntnis einer „damals“ durchs Leben vagabundierenden Frau.

Wir sehen ein Liebespaar in eng verknoteten Umarmungen, ein Beispiel für Portners Erweiterung des freien Tanzstils. Davon hätten wir gerne mehr gesehen. Sechs weitere Figuren, einzeln oder als Gruppe schwirren über die Bühne. Gleichgesinnte der Erzählerin? Ehemalige Liebhaber? Eric Chad lässt den extrem hohen Bühnenraum meist in nachtschattiger Atmosphäre, ab und zu aufgehellt mit breiten Lichtbalken. Vielleicht muss man die etwas rätselhafte Kreation einfach nochmals anschauen.

Zum Schluss dann Maurice Béjarts weltberühmter „Boléro“ (1961). Diese Choreografie zu Maurice Ravels gleichnamiger Komposition von 1928 war zumindest auf der Ballettbühne ein absoluter Höhepunkt der europäischen Moderne. „Boléro“ wurde bereits 1982/83 vom Ballett der Bayerischen Staatsoper übernommen, danach jedoch selten aufgeführt.

Auf einer leicht erhöhten, runden Tanzfläche erleben wir den Ersten Solisten Osiel Gouneo. Ein schmaler Tänzer mit jedoch konzentrierter Körperlichkeit. Schon in Emma Portners Kreation konnte er seine phänomenale Technik brillant austanzen. Hier zu Ravel – beeindruckend vom Staatsorchester unter Patrick Lange – beginnt sein Tanz mit kleinen wiegenden Schritten, die Arme eng vor sich, dann auch hoch über dem Körper. Im sich steigernden und klanglich verdichtenden Boléro holt Gouneo aus zu größeren Gesten und kleinen Sprüngen. Und schließlich beginnen auch die ringsum wartenden Tänzer einzustimmen in diesen frenetisch sich steigernden Tanz. Wie auch immer man den Titel „Waves and Circles“ deuten mag: Der Tanz wird immer seine wunderbaren Wellen schlagen.MALVE GRADINGER

Nächste Vorstellungen

am 25. Dezember, 23. Januar, 1., 4. und 15. Februar; Telefon 089/ 2185-1920.

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