Neue Richtlinien in den USA

Debatte um Bluthochdruck-Werte

von Redaktion

US-Experten haben den Grenzwert gesenkt – Zahl der Betroffenen steigt sprunghaft – Deutsche Hochdruckliga bleibt zurückhaltend

von Andreas Beez

In Medizinerkreisen klingt die Nachricht aus den USA revolutionär: Erstmals seit 2003 haben die beiden wichtigsten amerikanischen Kardiologenvereinigungen die Blutdruck-Grenzwerte neu festgelegt – genauer gesagt nach unten korrigiert: Künftig gilt bereits ein Messwert von 130/80 mmHG oder höher als behandlungsbedürftiger Bluthochdruck oder Hypertonie, wie die Volkskrankheit in der Fachsprache heißt. Bislang lag die Grenze bei 140/90.

„Damit haben in den USA vom einen auf den anderen Tag über 30 Millionen Menschen die Diagnose erhalten, dass sie Hypertoniker sind“, sagte Prof. Heribert Schunkert unserer Zeitung. Gemeinsam mit vielen namhaften Kollegen aus aller Welt, darunter auch Münchner Spezialisten, hat der Chefkardiologe des Deutschen Herzzentrums an dem richtungweisenden US-Kongress in Anaheim im Bundesstaat Kalifornien teilgenommen.

Die Entscheidung schlägt hohe Wellen – auch über den Großen Teich hinweg: In Deutschland diskutieren nun Experten, wie hierzulande künftig mit den Blutdruck-Grenzwerten verfahren werden soll. Denn die sogenannten Leitlinien (Therapieempfehlungen) der beiden renommierten US-Fachgesellschaften „American Heart Association“ und „American College of Cardiology“ haben traditionell Signalwirkung für Europa.

Runter mit den Blutdruck-Grenzwerten – taugt diese neue US-Devise auch als Vorbild für Deutschland? Um das zu diskutieren, muss man zunächst die Gründe der Amerikaner beleuchten: Triebfeder ihrer Richtlinien-Reform sind die spektakulären Ergebnisse einer Großstudie, bei der sich günstige Auswirkungen eines systolischen (oberen) Blutdruckwerts von unter 120 mm HG herauskristallisiert hatten.

„Vor diesem Hintergrund halte ich eine moderate Senkung der Grenzwerte auch bei uns in Deutschland für sinnvoll“, sagt Prof. Steffen Massberg vom Uniklinikum Großhadern. Zugleich betont der Mediziner aber: „Jeder Fall muss individuell betrachtet werden.“

Ein Knackpunkt: die Abwägung, ob der Einsatz von blutdrucksenkenden Medikamenten bei vergleichsweise gering erhöhten Messwerten zu rechtfertigen ist. „Das hängt unter anderem vom Risikoprofil und vom Alter des Patienten ab“, erläutert Massberg – und erntet Zustimmung. „Bei einer Therapieentscheidung gilt es auch zu berücksichtigen, wie gut der Patient die Medikamente verträgt“, betont Prof. Ellen Hoffmann vom städtischen Klinikum Bogenhausen. „Man muss Nutzen und Risiko abwägen.“

Blutdrucksenker gelten zwar als gut erprobt und verträglich, aber sie können auch Nebenwirkungen verursachen, die die Lebensqualität einschränken. „Dazu zählen unter anderem ein Leistungsabfall, Schwächegefühl, Antriebslosigkeit oder sexuelle Funktionsstörungen“, berichtet Prof. Thorsten Lewalter von den Kliniken Dr. Müller. Er verweist darauf, dass sich der Blutdruck in vielen Fällen auch auf natürliche Weise senken lasse, indem man seinen Lebensstil ändert. „Wer abnimmt und sich mehr bewegt, kann viel erreichen.“

Die Therapie ohne Tabletten sei insbesondere für viele Patienten im Grenzbereich zwischen hochnormalem Blutdruck und Bluthochdruck das Mittel der Wahl, betont Prof. Schunkert. Die Ergebnisse der neuen US-Studie will er nicht überbewerten – insbesondere wegen der darin angewendeten Messverfahren. Diese hätten Ergebnisse gebracht, sagt Schunkert, die im Schnitt um acht bis zehn mmHG niedriger ausfielen als bei vergleichbaren Messungen in Deutschland.

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