Der Fortschritt kann gewaltig auf Magen und Darm schlagen: Ob China, Russland oder Indien – überall dort, wo der moderne Lebensstil Einzug hält, steigt auch die Zahl der Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. In Deutschland leiden rund 400 000 Menschen an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa – das früher seltene Feuer im Darm ist längst zum Flächenbrand geworden.
Experten rätseln noch, woran das liegt. Eines aber scheint sicher: „Das hat etwas mit der Industrialisierung zu tun“, sagt Prof. Brigitte Mayinger, Chefärztin am Helios Klinikum München West in Pasing. Doch liegt es an übermäßiger Hygiene, steckt etwas im Essen oder sind es Umweltschadstoffe? Alles unklar. Sicher ist nur, dass manche Menschen anfälliger sind. Und: Betroffene interessieren sich ohnehin mehr dafür, wie sie ihre Beschwerden in den Griff bekommen. Zusammen mit unserer Expertin klären wir hier die wichtigsten Fragen.
-Welche Beschwerden können auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hindeuten?
„Betroffene leiden typischerweise an chronischem Durchfall“, sagt Gastroenterologin Mayinger. Chronisch bedeute dabei, dass Patienten mehr als vier Wochen lang Durchfall haben – und das mit drei oder mehr Stühlen pro Tag. Die Beschwerden liefern dabei oft erste Hinweise, welche chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) vorliegt. Die beiden häufigsten sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Auf letztere deutet etwa hin, wenn der Stuhl breiig und Blut beigemengt ist. Einseitige Bauchschmerzen wiederum treten häufiger bei Morbus Crohn auf. Betreffen sie den rechten Unterbauch, könne man sie unter Umständen sogar mit einer Blinddarmentzündung verwechseln, sagt Mayinger.
-Beschränken sich die Probleme auf den Darm?
In erster Linie, aber nicht nur. So führt der häufige Durchfall oft dazu, dass Patienten Gewicht verlieren. Eine sehr schwere Entzündung könne zudem Fieber auslösen. Aber auch Gelenksbeschwerden können auftreten. Besonders oft betroffen seien Knie, Fußknöchel, Ellbeugen, Handgelenk und das Iliosakral-Gelenk. Letzteres liegt zwischen Steißbein und großer Beckenschaufel. Auch rote, knotige Hautveränderungen, vor allem an der Vorderkante des Schienbeins, können auftreten, sagt Mayinger. „Das ist ein Hinweis, dass mit der Immunabwehr etwas nicht stimmt“, erklärt die Expertin. Sehr selten könne eine Colitis ulcerosa zu Augenentzündungen führen sowie zu Engstellen in den Gallenwegen. Bei Patienten werden darum regelmäßig die Leberwerte kontrolliert.
-Durchfall kann viele Ursachen haben …
In der Tat. Zuallererst müsse man ausschließen, dass Bakterien oder Viren die Ursache sind, sagt Mayinger. Eine virale Infektion ist in der Regel nach wenigen Tagen vorbei. Bakterien und Parasiten können allerdings auch chronische Durchfälle verursachen. „Lamblien“ zum Beispiel – kleine Parasiten, die sich in der Dünndarmschleimhaut einnisten – lösen sehr heftige, teils wässrige Durchfälle aus. „Ursache können aber auch Medikamente sein“, sagt die Expertin. Manchmal führe eine Therapie mit Antibiotika dazu, dass sich der Keim „Clostridium difficile“ im Darm breitmache – auch das verursache heftige Durchfälle.
-Wie klärt man das ab?
Dazu wird eine Stuhlprobe auf Bakterien, Viren und am besten auch Parasiten untersucht. Zudem wird Blut abgenommen, das im Labor auf Entzündungszeichen getestet wird, also auf den „CRP-Wert“ und auf eine Zunahme der weißen Blutzellen. Ist die Zahl der roten Blutzellen zu niedrig, kann das zudem auf einen versteckten Blutverlust im Darm hindeuten. Es folgt ein Ultraschall des Bauchs: Damit lasse sich oft schon erkennen, ob die Darmwand stellenweise verdickt ist – ein Hinweis auf eine Entzündung. Oder ob andere Ursachen, etwa Verwachsungen oder ein „Ileus“, also ein Darmverschluss, vorliegen. Hält der Durchfall schon seit vier Wochen an, folgt eine endoskopische Untersuchung, also eine Darmspiegelung. Dabei kann der Arzt sehen, ob und wo der Darm entzündet ist – und welcher Teil der Darmwand betroffen ist: Hier unterscheiden sich Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nämlich.
-Was ist typisch für die Colitis ulcerosa?
Bei dieser Erkrankung betrifft die Entzündung nur den Dickdarm, ausgehend vom Enddarm. „Der stärkste Befall ist immer unten“, sagt Mayinger. „Einen massiven Schleimhaut-Befund sieht man vor allem in den ersten zehn, zwanzig Zentimetern vom Schließmuskel aus.“ Die Entzündung steige dann kontinuierlich nach oben auf und werde dabei schwächer. Würde man ein Stück der befallenen Schleimhaut unter dem Mikroskop anschauen, könnte man zudem sehen, dass nur die oberste Schicht entzündet ist.
-Und was ist beim Morbus Crohn anders?
Hier ist typischerweise ein anderer Abschnitt des Darms betroffen – und zwar der Bereich, wo der Dünn- in den Dickdarm mündet, die „Ileozökalregion“. Bei Morbus Crohn ist der Darm zudem nicht flächig betroffen, sondern diskontinuierlich. Es finden sich also hier und dort entzündete Bereiche – und das nicht nur im Dickdarm. Beim Morbus Crohn kann der ganze Magen-Darm-Trakt betroffen sein, wie der Dünndarm, manchmal sogar die Speiseröhre und der Magen. „Die Entzündung kann zudem durch die ganze Darmwand durchgehen“, erklärt Mayinger. Manchmal hat das üble Folgen: Dann bilden sich Fisteln, also Verbindungsgänge zu Nachbarorganen, zum Beispiel zwischen Dickdarm und Blase. Besonders häufig bilden sich Fisteln am Enddarm. Weitere Komplikationen können entzündliche oder narbige Verengungen des Darmes sein oder auch abgekapselte Entzündungsherde.
-Muss man in solchen Fällen operieren?
In der Tat machen Fisteln manchmal eine OP nötig. In sehr schweren Fällen entstehen sogenannte Konglomerattumore. Dann verklebten Teile des Darms regelrecht miteinander, sagt Mayinger. Unter Umständen kommt der Speisebrei kaum noch durch. Dann müssen auch mal Teile des Darms entfernt werden. Doch: „Solche schweren Fälle sehen wir heute zum Glück nur noch selten“, sagt Mayinger. Die Therapie hätte sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verbessert.
-Wie wird behandelt?
Meist bekommt man die Entzündung mit einer immunsuppressiven Therapie in den Griff. Dabei kommen verschiedene Medikamente zum Einsatz, die die Reaktion des Immunsystems dämpfen. Ausgewählt wird dabei je nach Stärke der Beschwerden. So versucht man es bei einer Colitis ulcerosa zunächst mit Mesalazin- oder kortisonhaltigen Einläufen. Ist die Entzündung stärker oder komme es zu einem Krankheitsschub, setze man zudem auf Kortisontabletten oder -infusionen. Um kortisonbedingte Nebenwirkungen bei längerer Therapiedauer zu vermeiden, wird man dann, je nach Krankheitsverlauf, zeitnah auf immunsuppressive Präparate umstellen. Dazu gehört etwa „Azathioprin“, das seine volle Wirkung aber erst nach zwei bis drei Monaten entfaltet. Oder aber biologische, immun-modulatorische Präparate wie zum Beispiel anti-TNF-alpha-Antikörper. Diese werden als Kurzinfusion oder als Spritze unter die Haut verabreicht. Die Therapie des Morbus Crohn folgt einem ähnlichen Stufenschema. Bevor immunsupprimierende Medikamente zum Einsatz kommen, ist es wichtig, zuvor chronische Infektionen auszuschließen und den Impfstatus zu überprüfen.
-Was sollten Patienten unbedingt wissen?
Beim Essen gilt: Patienten sollten sich im entzündungsfreien Intervall wie jeder andere ausgewogen und gesund ernähren. Empfehlenswert sei eine mediterrane Kost mit viel Gemüse sowie Fett und Zucker in Maßen. Mangelzustände seien heute durch die verbesserte Therapie selten, sagt Mayinger. Wurde bei Morbus Crohn ein Teil des Dünndarms entfernt, könne es nötig sein, Vitamin B12 zuzuführen. Wichtig zu wissen: Durch die immunsuppressive Therapie sind Patienten infektanfälliger. Die häufigen Entzündungen im Darm erhöhen zudem das Risiko für Darmkrebs. Da die Entzündungen durch die bessere Therapie weniger werden, ist das zum Glück heute ein geringeres Problem.