Drei verschiedene Arzneien, die das Blut dünnflüssig halten? Da kommen manchen Patienten Zweifel: Sind wirklich so viele Tabletten nötig? Dafür sollte ein Mittel doch reichen. „Nicht immer!“, sagt indes Privatdozent Dr. Christian von Bary, Kardiologe und Chefarzt am Rotkreuzklinikum München. Es gibt viele verschiedene Blutverdünner, die sich in ihrer Wirkung unterscheiden. „Sie greifen auf unterschiedliche Art in das Gerinnungssystem ein.“ Darum senkt nicht jedes Mittel, das vor einem Herzinfarkt schützt, auch das Risiko eines Schlaganfalls. In unserem Ratgeber erklärt der Experte, wann welche Arzneien zum Einsatz kommen.
-Wie senkt „Aspirin“ das Herzinfarkt-Risiko?
Acetylsalicylsäure (ASS). besser bekannt unter dem Markennamen „Aspirin“, hilft nicht nur gegen Schmerzen. Es komme auch bei Patienten mit einer „koronaren Herzerkrankung“ zum Einsatz, erklärt von Bary: Bei ihnen sind Gefäße, die das Herz mit Blut versorgen, verkalkt und deren Wände entzündet. In der Folge können so entstehende Ablagerungen, sogenannte Plaques, einreißen, schon wirft der Körper sein Gerinnungssystem an: Um die Wunde zu schließen, aktiviert er zuerst „Thrombozyten“, auch Blutplättchen genannt. Sie verkleben miteinander zu einem Pfropf, die Blutung stoppt. Dieses Gerinnsel kann aber das Gefäß verstopfen – so kommt es zum Herzinfarkt. Das Risiko dafür lässt sich mit Aspirin senken: Es verhindert, dass Blutplättchen aktiviert werden. Dazu müssen Patienten täglich eine niedrige Dosis einnehmen. Mit einigen anderen Arzneien zählt ASS zur Gruppe der „Thrombozyten-Aggregations-Hemmer“, auch „Plättchenhemmer“ genannt.
-Wer profitiert noch von „Plättchenhemmern“?
„Aspirin gibt man auch nach einem Schlaganfall, wenn unklar ist, warum der Patient diesen bekommen hat“, sagt von Bary. Und: Wurde einem Herzkranken ein „Stent“ in ein Gefäß eingesetzt, also eine metallene Stütze, bekommt er in den ersten Monaten ebenfalls Aspirin, stets kombiniert mit weiteren Plättchenhemmern. Sonst bildet sich im Stent sehr leicht ein Gerinnsel, das diesen verstopft. Patienten können an so einer „Stent-Thrombose“ sterben. „Es ist daher gefährlich, diese Mittel einfach abzusetzen – gerade in der Frühphase nach der Stentimplantation.“
-Wie senkt „Marcumar“ das Schlaganfall-Risiko?
Der Auslöser eines Schlaganfalls liegt nicht selten im Herzen: Leiden Patienten an Vorhofflimmern, der häufigsten Rhythmusstörung, ist ihr Risiko dafür um das Fünffache erhöht. Der Grund: Bei Betroffenen wird das Blut in den Vorhöfen nicht mehr richtig durchmischt. Diese haben Ausstülpungen, in denen sich dann leicht Blutgerinnsel bilden können. Arbeitet das Herz wieder richtig, können sie mit dem Blutstrom bis ins Hirn gespült werden – und dort ein Gefäß verstopfen, so kommt es zum Schlaganfall. Eine andere Gruppe von Gerinnungshemmern kann das verhindern, die „oralen Antikoagulanzien“. Dazu zählt das altbekannte „Marcumar“ – aber auch „NOAKs“, die sogenannten „neuen oralen Antikoagulanzien“.
-Was ist eigentlich das Problem mit „Marcumar“?
Zwar hat man mit Marcumar viel Erfahrung, weil es lang auf dem Markt ist. Doch: Lebensmittel, die viel Vitamin K enthalten, können seine Wirkung mindern. Dazu gehören etwa Spinat, Hühnchen, Rosenkohl, Brokkoli und Chicorée. „Marcumar“-Patienten müssen darauf zwar nicht verzichten, sollten es damit aber nicht übertreiben. Sonst riskieren sie, dass die verordnete Dosis nicht mehr passt: Ist sie zu niedrig, hat der Patient trotz Arznei keinen Schutz. Nimmt er zu viel, ist er zwar vor einem „unblutigen“ Schlaganfall (siehe Kasten) geschützt, hat aber ein höheres Risiko für Blutungen. „Wir wissen, dass ein Großteil der Patienten, die das Medikament lange Zeit nehmen, nicht im therapeutischen Bereich liegen“, sagt von Bary. „Und das ist ein Riesenproblem.“
-Woher weiß man, was die optimale Dosis ist?
Durch einen speziellen Bluttest. Der Arzt ermittelt dabei den „INR-Wert“, der zwischen 2 und 3 liegen sollte. Ist er zu hoch oder zu niedrig, wird die Dosis angepasst. Manche Patienten liegen fast immer in diesem Bereich. Dann reicht es, wenn sie alle zwei bis drei Wochen zur Kontrolle gehen. Andere, bei denen der Wert stark schwankt, müssen deutlich öfter zum Arzt. Mit speziellen Messgeräten können Patienten den INR-Wert aber auch selbst bestimmen.
-Wann setzt man auf die neueren „NOAKs“?
Bei Patienten, bei denen sich der INR-Wert schwer einstellen lässt und solchen, die neu eingestellt werden. Vorteil der „NOAKs“: Lebensmittel beeinflussen ihre Wirkung nicht und Gerinnungstests sind unnötig. Vor allem aber: Studien haben gezeigt, dass sie bei Vorhofflimmern genauso gut vor einem Schlaganfall schützen wie „Marcumar“, Blutungen aber deutlich seltener sind.
-Wie groß ist das Risiko für Blutungen eigentlich?
Viele Patienten fürchten, dass sie nach einem Sturz oder einer Schnittverletzung nicht mehr zu bluten aufhören. „Das sind aber die seltenen Fälle“, sagt von Bary. Viel problematischer seien spontane Blutungen, die ohne Verletzung auftreten – etwa in Hirn, Magen oder Darm. Dieses Risiko sei mit „NOAKs“ deutlich geringer.
-Und welche Nachteile haben NOAKs?
Deutlich öfter kommt es zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneien. Diese können die Wirkung abschwächen oder erhöhen. „Da muss man aufpassen“, warnt von Bary. „Es ist gar nicht schlecht, als Patient auch mal aktiv beim Hausarzt nachzufragen, ob sich alle Medikamente miteinander vertragen.“ Bei schweren Nieren- und Leberfunktionsstörungen ist es ebenfalls ratsam, auf „Marcumar“ statt auf „NOAKs“ zu setzen.
-Gibt es im Notfall ein Gegenmittel?
Bei einer Hirnblutung müssen Ärzte schnell handeln, damit diese nicht weiter voranschreitet: Bei „Marcumar“-Patienten ersetzen sie Gerinnungsfaktoren dann einfach. Bei einigen „NOAKs“ gibt es bereits echte Gegenmittel, die deren Wirkung zügig aufheben. Oft sind das Antikörper, die innerhalb von Minuten wirken. Dazu muss der Arzt aber wissen, welches Mittel der Patient nimmt. Der sollte daher einen Ausweis dabei haben, in dem das steht. „Viele Patienten haben Angst vor einer Blutung und nehmen bei Vorhofflimmern keine Blutverdünner ein“, sagt von Bary. „Bei bestimmten Patienten ist das Risiko eines Schlaganfalls aber sehr viel höher als das einer Blutung.“ Und: ASS ist für sie keine Alternative.
-Was müssen Patienten vor einer OP beachten?
Bei einer OP oder größeren Zahnbehandlung können Gerinnungs- und Plättchenhemmer zum Problem werden – weil sie die Blutung verstärken. Oft müssen Patienten diese Mittel daher ein paar Tage vor dem Eingriff absetzen. „Das ist sehr von der Art des Eingriffs und vom Grund der Blutverdünnung abhängig“, sagt von Bary. Bei „Marcumar“ wird dann erneut der INR-Wert kontrolliert. Sinkt er unter zwei, kann die OP stattfinden. Patienten mit sehr hohem Schlaganfall-Risiko brauchen allerdings ein „Bridging“: Sie bekommen den Wirkstoff „Heparin“ gespritzt, um die Zeit bis zur OP zu überbrücken. „Es ist besser steuerbar, kann bis wenige Stunden vor der OP gegeben werden“, sagt von Bary. Bald nach dem Eingriff wird das Heparin dann wieder gegeben – der Patient ist geschützt. Doch: Bei immer mehr Eingriffen, wie etwa dem Einsetzen eines Herzschrittmachers, gehen Ärzte dazu über, Patienten zu operieren, ohne dass sie „Marcumar“ oder „NOAKs“ absetzen. Studien haben gezeigt, dass die Umstellung auf Heparin bei manchen Patienten das Risiko für einen Schlaganfall oder Blutungen erhöhen kann. „Weil sie aus dem normalen Tritt kommen.“
-Und wer braucht noch Blutverdünner?
„Patienten nach einer Lungenembolie“, sagt von Bary. Dabei bildet sich eine Thrombose in einer Beinvene, ein Gerinnsel also. Löst es sich und wird mit dem Blut in die Lunge gespült, ist das lebensgefährlich. Zum Schutz sollten Betroffene nach so einem Notfall „Marcumar“ oder bestimmte „NOAKs“ nehmen – manche vorübergehend, andere dauerhaft. Auch Patienten mit künstlicher Herzklappe brauchen lebenslang Blutverdünner. Und zwar „Marcumar“. „NOAKs“ sind dabei keine Alternative. „Sie haben hier versagt“, sagt von Bary.