FRAGEN UND ANTWORTEN

Lymphödem: Stau im Gewebe

von Redaktion

von ANDREA EPPNER

Jede Woche zwei, drei Mal auf die Behandlungsliege – und das, obwohl die Tumortherapie vorbei ist: Für manche Krebspatienten ist das Alltag, selbst wenn Operation und Bestrahlung lange zurückliegen. Auch dann kann noch ein Lymphödem entstehen. „Dabei kommt es zu einer Anstauung von Gewebsflüssigkeit im Weichteilgewebe, das nicht mehr abtransportiert werden kann“, erklärt Dr. Min-Seok Kwak, Funktionsoberarzt an der Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München (Direktor: Prof. Hans-Günther Machens). Hier beantwortet er die wichtigsten Fragen.

-Wer ist besonders gefährdet, ein Lymphödem zu entwickeln?

„Die meisten Patienten, die sich bei uns in der Klinik vorstellen, sind weiblich – und haben oder hatten eine Tumorerkrankung“, sagt Kwak. Der Grund: Damit sich Krebszellen nicht ausbreiten und in andere Organe streuen, werden unter anderem Lymphknoten entfernt und/oder die betroffene Körperregion wird bestrahlt. „Dadurch wird aber auch das Lymphgefäßsystem zerstört“, erklärt der Arzt. Diese Gefäße durchziehen, ähnlich wie Blutgefäße, den ganzen Körper und sind ein wichtiger Teil des Abwehrsystems. Ihre Aufgabe ist es auch, Gewebsflüssigkeit und die Stoffe darin abzutransportieren. Sind die Lymphgefäße nach einer Operation zerstört, klappt das manchmal nicht mehr richtig: Dann bildet sich ein Lymphödem.

-Welche Beschwerden haben die Betroffenen?

Je nachdem, wo die Lymphgefäße verletzt wurden, schwellen Arm oder Bein an, werden also sichtbar dicker. Das Gewebe fühlt sich härter an, die Haut ist unangenehm gespannt und neigt zu Infektionen. Die Schwellung kann auch dazu führen, dass Patienten Arm oder Bein nicht mehr richtig bewegen können. Wie stark die Beschwerden sind, sei sehr unterschiedlich, sagt der Chirurg. Darum unterscheidet man beim Lymphödem verschiedene Stadien. Auch der Krankheitsverlauf ist nicht bei jedem gleich. „Es gibt Patienten, die erst nach fünf bis zehn Jahren ein Lymphödem entwickeln.“ Die Lebensqualität der Betroffenen sei dadurch sehr stark eingeschränkt, sagt Kwak.

-Sind immer zerstörte Lymphgefäße die Ursache für geschwollene Beine?

Nein. Auch andere organische Ursachen können dahinterstecken – und das müsse durch eine genaue Anamnese, also das Befragen des Patienten, und eine körperliche Untersuchung abgeklärt werden, sagt Kwak. Bei einem „kardialen Ödem“ etwa pumpt das Herz zu schwach, es kommt zu einem Rückstau in Beinen und Bauchhöhle. Auch bei schwachen Venen können die Beine anschwellen. Sind die Beine symmetrisch dick und unförmig, kann das zudem auf ein „Lipödem“ hindeuten. „Das ist eine Fettverteilungsstörung“, sagt Kwak. Die Füße seien davon in der Regel nicht betroffen. Ärzte können diese Formen also leicht unterscheiden. Es gibt allerdings auch Mischformen.

-Und wie wird man ein Lymphödem wieder los?

Eine Therapie, die die Ursache beseitigt, gibt es bislang nicht. Auch sogenannte Spontanheilungen, bei denen das Problem von selbst verschwindet, sind nur selten. Die derzeit verfügbaren Behandlungen zielen daher darauf ab, die Beschwerden zu lindern – und so die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Behandlungsgrundlage sollte dabei immer die „Komplexe physikalische Entstauungstherapie“, kurz KPE, sein, erklärt Kwak. Gemeint ist ein ganzes Paket konservativer Verfahren, die aufeinander abgestimmt sind.

-Was gehört alles zur konservativen Therapie?

Hautpflege zum Beispiel. Ist die Haut trocken und rissig, macht sie das nämlich anfälliger für Infektionen. Patienten müssen sie daher sorgfältig pflegen. Worauf es dabei ankommt, lernen sie in Schulungen. Diese sind ein wichtiger Teil der KPE – zumal es mit Hautpflege allein nicht getan ist: Patienten müssen zum Beispiel auch lernen, wie man einen Kompressionsstrumpf richtig anlegt. Solche Strümpfe, die im Sanitätshaus angepasst werden, gibt es übrigens nicht nur für das Bein, sondern auch für andere Körperpartien. Ihre Aufgabe: Druck auf das Gewebe ausüben. Das wirke einer Flüssigkeitsansammlung entgegen, erklärt Kwak. Die Patienten müssen aber auch regelmäßig zu einem spezialisierten Lymphtherapeuten.

-Was genau macht ein Lymphtherapeut?

Bei der Lymphdrainage führt der Therapeut bestimmte Bewegungen aus, um die Flüssigkeit zurückzudrängen. Dazu massiert er den geschwollenen Arm oder das Bein mit gezielten Handbewegungen – und zwar vom Fuß das Bein hinauf oder von der Hand in Richtung Achsel. „So wird die Flüssigkeit zurücktransportiert – und die Extremität dünner“, erklärt Kwak das Prinzip. Leider hält der Effekt nur kurz. Manche Patienten müssen daher zwei bis drei Mal pro Woche zur Behandlung – und das lebenslang. Eine ergänzende Physiotherapie aktiviert zudem die körpereigene Muskelpumpe, die den Abfluss der Gewebsflüssigkeit noch zusätzlich fördert.

-Was kann man tun, wenn die konservative Therapie nicht ausreicht?

Reicht die KPE nicht aus, gibt es auch chirurgische Verfahren. Dazu zählt zum Beispiel die Lymphknoten-Transplantation. Der Chirurg entnimmt dabei aus einem gesunden Bereich des Körpers ein Gewebepaket aus Fett und Lymphknoten. „Meist wird solch ein Paket aus der Leisten-, Achsel- oder Bauchregion gewonnen“, erklärt Kwak. Damit versucht der Arzt das zerstörte Lymphgefäßsystem zu rekonstruieren. Bei dieser Technik bestehe allerdings das Problem, „dass man an der Entnahmestelle ein gewisses Lymphödemrisiko verursache“.

-Gibt es noch andere chirurgische Verfahren?

Ja, etwa die sogenannten lympho-venösen Anastomosen. Dabei werden mehrere kleine Hautschnitte im erkrankten Körperbereich gesetzt. Der Arzt sucht dann gezielt die Lymph- und Blutgefäße auf – und verbindet sie miteinander. Er erzeugt dadurch einen Umgehungskreislauf. „Die Lymphe wird dann direkt in das Blutgefäßsystem abgeleitet“, erklärt Kwak. Vorteil dieser Technik: Es besteht kein Risiko für ein neues Lymphödem an anderer Stelle.

-Was müssen Patienten zu solchen OPs wissen?

Die Operation dauert meist zwischen drei bis fünf Stunden, während der Patient in Vollnarkose liegt. Für den Eingriff braucht der Arzt nämlich Geduld und Fingerspitzengefühl. Denn die Gefäße sind hauchfein. Der Durchmesser beträgt oft weniger als einen halben Millimeter. Etwa eine Woche lang müssen Patienten im Anschluss in der Klinik bleiben. Doch schon bald nach dem Eingriff beginnen sie wieder mit der KPE, wobei der operierte Bereich zunächst ausgespart wird. Vor allem aber brauchen Patienten aber viel Geduld: Bis sich die Beschwerden bessern, vergehen nach einer Operation viele Monate. „Das Lymphgefäßsystem braucht Zeit, um sich zu regenerieren“, sagt Kwak. Wie erfolgreich die OP war, lasse sich daher frühestens nach sechs bis zwölf Monaten beurteilen. Am wichtigsten für ein langfristig gutes Ergebnis sei es, vorher genau abzuklären, welche Patienten von welcher Technik profitieren – und welche nicht.

Artikel 3 von 7