BEOBACHTEN ODER BEHANDELN

Prostatakrebs: Eine Therapie für alle?

von Redaktion

VON ANDREA EPPNER

Etwa 60 700 Männer wird es heuer treffen: So viele werden hierzulande erstmals die Diagnose Prostatakrebs erhalten, sagt eine Prognose des Robert-Koch-Instituts. Nach dem ersten Schock haben Betroffene viele Fragen – zum Beispiel: Muss die Prostata jetzt komplett herausoperiert werden? Werde ich zu denen gehören, die danach das Wasser nicht mehr halten können oder gar impotent werden?

Viele haben von den möglichen Komplikationen gehört, zu denen eine Operation oder Bestrahlung führen können. Weniger bekannt sind alternative Therapieansätze, die solche Risiken verringern. „Sie kommen aber nur für bestimmte Patienten infrage“, sagt Dr. Michael Chaloupka, Arzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum der Universität München in Großhadern.

-Warum werden manche Männer impotent oder inkontinent, wenn die Prostata entfernt oder bestrahlt wurde?

Die Prostata, auch Vorsteherdrüse genannt, liegt in einem sensiblen Bereich. Das kastaniengroße Organ, das die Harnröhre umschließt, befinde sich nämlich „im unteren Bereich des Beckens“, erklärt Urologe Chaloupka. Hier verlaufen aber auch Nerven, die für eine Erektion wichtig sind. Sie können durch die Behandlung verletzt werden. Die Prostata selbst ist vor allem für die Reifung der Spermien und die Produktion der Samenflüssigkeit zuständig. Sie hat aber noch eine wichtige Funktion: Durch ihre Lage stützt sie die Blase von unten – und hilft so, das Wasser zu halten. Wurde die Prostata entfernt, muss der Beckenboden diese Aufgabe allein übernehmen. Mit gezielten Übungen und nach einer Umgewöhnungsphase schafft er das meist auch.

-Klappt das bei jedem?

Leider nein. Global gesehen würden etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten nach einer „radikalen Prostatektomie“ inkontinent, sagt Chaloupka. Gemeint ist die Entfernung der Prostata mitsamt Kapsel, Samenbläschen und benachbarten Lymphknoten. Die Zahlen sind aber Durchschnittswerte. Viele Faktoren entscheiden darüber, wie hoch das Risiko im Einzelfall wirklich ist, etwa: Lage und Größe des Tumors und – ganz wichtig – die Erfahrung des Operateurs. Gleiches gilt für die zweite Sorge vieler Männer, nämlich nach dem Eingriff impotent zu werden. Eine solche „erektile Dysfunktion“ treffe im Schnitt 30 bis 70 Prozent der Behandelten weltweit, sagt Chaloupka.

-Wer braucht auf jeden Fall eine OP oder Bestrahlung – und wer nicht?

Wächst der Tumor schnell, ist er aggressiv oder hat er sich bereits über das Organ hinaus ausgebreitet, ist die Sache klar: Betroffene kommen um eine Operation oder Bestrahlung nicht herum. Doch: Immer öfter werden bei Männern sogenannte Niedrigrisikokarzinome entdeckt. Diese wachsen langsam, oft nur in einer Hälfte der Prostata – und haben „nur eine sehr geringe Tendenz, Metastasen zu bilden“, sagt Chaloupka. Diesen Patienten bringen OP oder Bestrahlung also wahrscheinlich nur einen geringen Extra-Nutzen – bei gleichbleibend hohen Risiken.

-Was erwartet Patienten, die eine „aktive Überwachung“ bevorzugen?

Eine Alternative für Patienten mit Niedrigrisikokarzinomen kann die „aktive Überwachung“ sein. Bei dieser Methode wird der Krebs vorerst nicht behandelt, erklärt Chaloupka. Der Patient muss aber regelmäßig zu Kontrollen – damit man rechtzeitig handeln kann, wenn doch noch eine Behandlung nötig wird. Zur aktiven Überwachung gehören anfangs wiederholt „Biopsien“, es werden also Gewebeproben entnommen und untersucht. Hinzu kommt die „digital-rektale“ Untersuchung, die auch bei der Früherkennung zum Einsatz kommt. Dabei tastet der Urologe die Prostata vom Endarm aus mit dem Finger ab. Teil drei der aktiven Überwachung sind regelmäßige Kontrollen des „PSA-Werts“: Es wird also die Konzentration des „prostataspezifischen Antigens“ (PSA) im Blut gemessen. Dabei handelt es sich um ein Eiweiß, das von der Prostata gebildet wird. Ein Anstieg des PSA-Wertes kann daher ein erster Hinweis sein, dass jetzt vielleicht doch eine Behandlung nötig ist. Doch gerade die Ungewissheit ist für manche Patienten kaum zu ertragen. „Die Unsicherheit jedes Mal ist schwierig“, sagt Chaloupka. Viele entscheiden sich irgendwann doch noch für eine OP oder Bestrahlung.

-Gibt es keinen Mittelweg in der Behandlung?

Doch! Eine gute Lösung für Patienten mit Niedrigrisikokarzinomen können „fokale Therapien“ sein, von denen es eine ganze Reihe gibt. Gemeinsam ist ihnen: Statt die gesamte Prostata zu entfernen oder zu bestrahlen, bekämpft man den Krebs gezielter. Meist reicht es, nur einen Tumorherd innerhalb des Organs zu zerstören – oder eine Hälfte der Prostata zu behandeln. Der Vorteil: „Sie stellen eine Möglichkeit dar, den Krebs wirklich zu bekämpfen“, erklärt Chaloupka. „Im Vergleich zu Operation und Bestrahlung haben sie dabei aber deutlich weniger Nebenwirkungen.“ Konkret heißt das: Im Schnitt werden unter 100 Behandelten nur zwei bis drei inkontinent. Und: Gerade mal bei jedem Zehnten komme es zu Erektionsproblemen.

-Welche „fokalen Therapien“ werden am häufigsten eingesetzt?

Hierzulande ist das vor allem der hochintensivierte Ultraschall, kurz: HIFU. Dabei führt der Arzt eine Ultraschall-Sonde vom Enddarm her in die Prostata ein und fokussiert den Ultraschall exakt im Tumorherd. Die richtige Position findet er dank ausgefeilter bildgebender Verfahren; hier spielt die Magnetresonanztomografie eine große Rolle. Der Patient bekommt von dem Eingriff selbst nichts mit: Er liegt in Vollnarkose. Das soll sicherstellen, dass er sich „keinen Millimeter“ bewegt, erklärt Chaloupka. Schließlich soll der Arzt sein Ziel mit der Sonde genau treffen. Diese heizt das Tumorgewebe auf 85 bis 100 Grad auf, zerstört den Tumorherd also durch Hitze. Das geht alternativ aber auch mit großer Kälte: Bei der Kryotherapie, einem anderen, vor allem in den USA häufig genutzten Verfahren, kommen bestimmte Gase zum Einsatz, die das Tumorgewebe auf etwa minus 50 Grad kühlen – und so kaputt machen.

-Gibt es denn noch andere Verfahren?

Eine ganze Menge sogar! So lässt sich zerstörerische Hitze auch mit einem Infrarotlaser erzeugen, der in den Tumorherd eingeführt wird. Eine weitere Methode: die „Elektroporation“. Hier bekämpft man den Tumor mit kurzen Starkstromimpulsen. Bei der „vaskulären photodynamischen Therapie“ wiederum bekommt der Patient zuerst eine Substanz gespritzt, die die Zellen lichtempfindlich macht. Die Substanz muss aber erst aktiviert werden, um den Tumor zu zerstören. Das geschieht durch Lichtfasern, die punktgenau im Tumorherd platziert werden. Daneben gibt es noch die „Brachytherapie“, eine Art Bestrahlung von innen: Hierzu werden „Seeds“, kleine radioaktiv strahlende Teilchen, im Tumor platziert. Patienten müssen aber nicht fürchten, zur Gefahr für ihre Mitmenschen zu werden: Die Reichweite der Strahlung ist sehr gering und hält auch nur eine Zeit lang an.

-Wie geht es nach der Behandlung weiter?

Die Nachsorge bei fokalen Therapien ist bislang nicht klar geregelt. „Darüber muss man Patienten genau aufklären“, sagt Chaloupka. Auf jeden Fall müssen sie sich auf eine Biopsie jeweils nach sechs und zwölf Monaten einstellen. Ob danach noch weitere Gewebeproben nötig sind, hängt vom Ergebnis der ersten Untersuchungen ab. Zu den Biopsien kommen regelmäßige PSA-Tests: Anders als nach einer Operation bildet das verbliebene gesunde Prostata-Gewebe weiter PSA. Entscheidender als der absolute Wert ist daher der Verlauf; kritisch wäre also ein starker Anstieg. Generell gilt: Welches Therapiekonzept am besten passt, darüber beraten sich Arzt und Patient gemeinsam. „Die Aufklärung ist das A und O“, sagt Chaloupka. Nur wer Vor- und Nachteile der infrage kommenden Verfahren kennt, kann entscheiden, welche Aspekte ihm besonders wichtig sind.

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