Die Diagnose „malignes Lymphom“ macht Betroffene oft ratlos: Viele müssen erst einmal nachfragen, was für eine Art von Krebs das ist. Im Vergleich zu Darm- oder Brustkrebs sind Lymphome selten. Etwa jeder 20. Krebspatient sei davon betroffen, sagt Prof. Martin Dreyling, Oberarzt an der Medizinischen Klinik III am Klinikum der Universität München. Vor allem aber ist dieser Krebs schwer fassbar: Er betrifft kein bestimmtes Organ, kann überall im Körper auftreten. Sein Ursprung liegt aber im Lymphsystem. Daher wird er auch manchmal „Lymphdrüsenkrebs“ genannt. Unser Experte erklärt, was genau sich hinter der Diagnose verbirgt – und welche Therapien helfen.
-Malignes Lymphom – was ist das für ein Krebs?
„Das maligne Lymphom ist ein bösartiger Tumor, der von den Lymphknotenzellen ausgeht“, erklärt Dreyling. Solche Zellen finden sich in den Lymphknoten selbst, aber auch in der Milz, im Knochenmark und im Blut. Die Krebszellen können also überall im Körper sein. Es gibt keinen einzelnen Tumor in einem Organ, der sich per Operation entfernen ließe. Daher setzt man gleich zu Beginn vor allem auf „systemische“ Therapien, die Krebszellen im ganzen Körper erreichen. Wichtig zu wissen: Lymphknoten können auch bei Patienten befallen sein, die an anderen Krebsarten leiden. In dem Fall handelt es sich also nicht um ein Lymphom, sondern um Absiedlungen zum Beispiel von Darm- oder von Brustkrebs.
-Ist ein Lymphom wie das andere?
Nein, es gibt viele verschiedene Formen. Nach dem Aussehen der Krebszellen unter dem Mikroskop unterscheidet man zum einen die Hodgkin-Lymphome (HL), die häufig bei jungen Menschen auftreten, nicht selten schon bei 20- bis 30-Jährigen. Alle anderen werden als „Non-Hodgkin-Lymphome“ (NHL) zusammengefasst. Sie können zwar in jedem Lebensalter auftreten, sind bei Älteren aber viel häufiger. Unterscheiden lassen sich Lymphome auch anhand ihrer Aggressivität: Bei hochmalignen Formen vermehren sich die Krebszellen schnell. Niedrigmaligne Lymphome wachsen dagegen langsam – oder gar nicht. Sie können sich manchmal sogar von allein zurückbilden. Manche Berichte von vermeintlichen Wunderheilungen basierten auf diesem Phänomen, sagt Dreyling. Doch die Besserung sei nicht von Dauer. Die Erkrankung ist chronisch, das Auf und Ab gehört dazu.
-Bei welchen Alarmsignalen sollte man zum Arzt?
Schnellwachsende Lymphome verraten sich oft durch einen starken Gewichtsverlust. Oder durch „Fatigue“, eine anhaltende, bleierne Müdigkeit, die auch viel Schlaf nicht vertreibt. Bei solchen Symptomen sollte man zum Arzt gehen. Auch vergrößerte Lymphknoten können ein erster Hinweis auf ein bösartiges Lymphom sein – müssen es aber nicht. Viel häufiger lässt eine Entzündung die Lymphknoten anschwellen. Diese sind nämlich Teil des Abwehrsystems. Die Lymphknoten am Hals schwellen auch an, wenn man einfach nur erkältet ist. Nur: „Hellhörig sollte man werden, wenn ein Lymphknoten innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten größer wird. Und generell wenn er mehr als zwei Zentimeter groß ist“, sagt Dreyling. Dann geht man am besten zunächst zum Hausarzt. Der kann unter anderem durch eine Blutuntersuchung klären, ob vielleicht doch eine Entzündung dahintersteckt. Bei einem Krebsverdacht wird er seinen Patienten an einen Facharzt für Hämatologie und Onkologie überweisen.
-Wie klärt man einen Krebsverdacht ab?
Ob tatsächlich Krebszellen in einem verdächtigen Lymphknoten oder auch im Knochenmark stecken, lässt sich durch eine Biopsie herausfinden. Das ist ein kleiner Eingriff unter lokaler Betäubung. Dabei wird mit einer Nadel etwas Gewebe aus einem Lymphknoten entnommen. Oder man punktiert das Knochenmark. Die Zellen werden unter dem Mikroskop untersucht. „Nur so lässt sich sagen: Ist das nur eine Entzündung oder ein Lymphom?“, erklärt Dreyling.
-Wonach richtet sich die Therapie?
Entscheidend ist die Art des Lymphoms. Es gebe sehr viele verschiedene Untergruppen, jede erfordere eine andere Behandlung, sagt Dreyling. Darum sei es für Patienten wichtig, sich an einen Spezialisten zu wenden. Hilfe bei der Expertensuche bietet etwa die Internetseite des „Kompetenznetzes maligne Lymphome“ unter www.lymphome.de. Behandelt wird übrigens nicht immer sofort. „Bei niedrigmalignen ist es anfangs häufig so, dass wir nur beobachten“, erklärt unser Experte. Die bösartigen Zellen schaden dem Körper nämlich nicht direkt. „Sie sind nur eine Art blinder Passagier für ihn.“ Zu Beschwerden komme es dann erst, wenn diese „Tumorlast“ zu groß werde, wenn sich die Zellen allzu stark vermehren. Bis dahin kann man abwarten – auch wenn das für Patienten oft schwierig ist. Doch kommt es bei solchen Lymphomen weniger auf Schnelligkeit an als auf einen langen Atem: „Die Zellen sind so empfindlich, dass man sie auch später noch gut behandeln kann“, beruhigt Dreyling.
-Ist immer eine Chemotherapie nötig?
Auch das ist nicht der Fall. Bei niedrigmalignen Lymphomen könne man manchmal auf eine Chemotherapie verzichten. „Hier ist eine kleine Revolution im Gange“, sagt Dreyling. Ein großer Fortschritt, denn bei einer Chemotherapie kommen Zellgifte zum Einsatz, die auf alle Zellen wirken, die sich schnell vermehren – egal ob gesund oder krank. Sie haben darum durchaus Nebenwirkungen. Zielgerichteter und damit verträglicher sind Antikörper. Diese Medikamente, die seit rund 20 Jahren auf dem Markt sind, konnten die Überlebenschancen von Patienten deutlich verbessern, sagt Dreyling.
-Wie funktioniert die gezielte Therapie?
Sogenannte Anti-CD20-Antikörper sind Wirkstoffe, die treffsicher einen bestimmten Zelltyp erkennen – nämlich die B-Lymphozyten. Das sind Immunzellen, die selbst Antikörper bilden können und damit Krankheitserreger angreifen. Die Antikörper-Medikamente, die bei Lymphomen zum Einsatz kommen, spüren diese B-Lymphozyten gezielt auf und greifen sie an. Von diesen Zellen gehen nämlich die allermeisten Lymphome aus. Die Antikörper greifen nur sie an, lassen alle anderen Zellen aber in Ruhe. Patienten erhalten diese Arzneien entweder als Infusion oder bekommen sie unter die Haut gespritzt.
-Gibt es noch andere zielgenaue Arzneien?
Ja. Eine neuere Entwicklung sind Wirkstoffe, die B-Lymphozyten nicht direkt abtöten, sondern ihnen gewissermaßen den Strom abdrehen. „Bösartige Lymphomzellen haben einen Wachstumsrezeptor“, erklärt Dreyling. Ist er angeschaltet, ist das für die Zelle das Signal zum Weiterleben. Hier setzen die neuartigen Arzneien an: Sie verhindern, dass das Signal innerhalb der Krebszelle weitergeleitet wird. Die Folge: Sie stirbt ab. Bei bestimmten Lymphomen wirkten diese Arzneien besser als eine Chemotherapie – und seien dabei verblüffend verträglich, sagt Dreyling. Das gilt etwa für die chronisch lymphatische Leukämie (CLL). Sie zählt ebenfalls zu den Lymphomen, auch wenn die bösartigen Zellen hier im Blut sind.
-Wie funktioniert eine Gentherapie?
Beim Lymphom wurde kürzlich erstmals in Europa auch eine Gentherapie zugelassen. Sie funktioniert so: Man entnimmt einem Patienten sogenannte T-Lymphozyten. Das ist ein zweiter Typ von Abwehrzellen, die jeder Mensch hat. Im Labor werden die entnommenen Immunzellen wie Spürhunde auf Krebszellen abgerichtet – und zwar mittels eines gentechnischen Eingriffs. So werden aus gewöhnlichen T-Zellen sogenannte „CAR-T-Zellen“. Diese bekommt der Patient dann per Infusion wieder zurück. In seinem Körper machen sie sofort gezielt Jagd auf B-Lymphozyten und zerstören sie.
-Wie gut wirkt dieses Verfahren?
Dreyling spricht von „großartigen Erfolgen“ – gerade bei Patienten, „bei denen wir keine Hoffnung mehr hatten. Das ist ein Durchbruch.“ Bis Jahresende soll die Therapie auch in seiner Klinik eingesetzt werden – bei Patienten mit hochmalignen Lymphomen, denen nichts anderes hilft. Denn zum einen ist zu den Risiken vieles unklar. Vor allem aber ist die Therapie bislang extrem teuer. In den USA kostete die Behandlung nur eines Patienten zuletzt bis zu einer Million Dollar.