So viel Vitamin D braucht der Mensch

von Redaktion

Tatsache ist: Ein gesunder Körper braucht Vitamin D. Tatsache ist aber auch: Viele Menschen, vor allem ältere, haben zu wenig davon. Aber ab wann ist das schädlich? Wie sinnvoll sind Vitamin-Präparate – und gibt es Alternativen dazu? Ein Überblick.

VON BARBARA NAZAREWSKA UND ANDREA EPPNER

Die Zahlen sind ernüchternd: Jeder Zweite über 65 hat zu wenig Vitamin D im Blut. Das belegen Zahlen des Helmholtz Zentrum München. Die Folgen? Glaubt man Herstellern von Vitamin-Präparaten, gehören Stimmungsschwankungen dazu, aber auch Müdigkeit und ein erhöhtes Risiko für Osteoporose, also poröse Knochen.

Was stimmt: Vitamin D ist besonders wichtig für gesunde Knochen, sagt auch Professor Helmut Schatz aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Im Unterschied zu anderen Vitaminen nimmt der Mensch nur einen kleinen Teil dieses Vitamins über die Nahrung auf – zum Beispiel über fetten Seefisch. 80 bis 90 Prozent bildet der Körper selbst, und zwar in der Haut mithilfe von Sonnenlicht.

Nun ist auch Bayern, vor allem im Herbst und im Winter, nicht gerade sonnenverwöhnt. Immer mehr Menschen, insbesondere die älteren, greifen daher verstärkt zu Vitamin-D-Pillen. Allein im vergangenen Jahr verkauften deutsche Apotheken Präparate für rund 177 Millionen Euro. Das hat das Unternehmen IQVIA ausgerechnet, das den gesamten Pharmamarkt beobachtet.

Doch ab wann sprechen Experten überhaupt von einem Vitamin-D-Mangel? Die Antwort lautet: „Erst, wenn Menschen Symptome haben – also krank sind“, erklärt Birgit Niemann vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Zum Vergleich: Weitverbreitete Mangelerscheinungen gab es früher etwa bei Jod. Seit den 1980er-Jahren wird in Deutschland daher flächendeckend der Konsum von mit Jod angereichertem Salz empfohlen. „Beim Vitamin D ist das allerdings nicht der Fall!“, sagt Niemann. „Wir teilen nicht die Ansicht, dass es in Deutschland einen flächendeckenden Vitamin-D-Mangel gibt.“ Das BfR interessiert aber nicht nur, ob es der Bevölkerung an etwas mangelt – das Institut will auch wissen, wie optimal die Menschen versorgt sind. „Und da gibt es bei vielen Vitaminen noch Luft nach oben“, räumt Expertin Niemann ein. Vitamin D gehöre definitiv dazu.

Dem Berliner Robert Koch-Institut zufolge erreicht gut die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland die als optimal angesehene Serumkonzentration von 50 Nanomol pro Liter (nmol/L) oder 20 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) nicht. Von einem echten Mangel sprechen Mediziner aber erst, wenn der Wert noch viel tiefer liegt: nämlich bei 10 ng/ml für einen moderaten und bei 5 ng/ml für einen schweren Mangel. „Es könnte aber sein, dass viele ein Risiko für eine Unterversorgung haben“, sagt Niemann, zumal dieses Risiko immer besteht, wenn die Serumkonzentration unter dem Optimalwert liegt.

Ein eher hohes Risiko haben vor allem Senioren über 65 Jahren, abgesehen von Säuglingen, die deshalb flächendeckend Vitamin D bekommen, und zum Beispiel auch Menschen, die gar nicht oder nur verschleiert das Haus verlassen. Bei all diesen Gruppen komme eine prophylaktische Gabe von Vitamin D in Betracht, sagt Professor Schatz.

In vielen Studien haben Wissenschaftler versucht herauszufinden, ob Menschen mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel früher sterben, ob sie häufiger an Krebs erkranken – oder einen Herzinfarkt erleiden. Etliche Studien fanden auch einen Zusammenhang zwischen einer niedrigen Vitamin-D-Konzentration im Blut sowie Atemwegs- und rheumatischen Erkrankungen oder Diabetes. Professor Schatz hält die Ergebnisse jedoch nicht immer für ganz eindeutig: „Was hier die Frage ist – erhöht jetzt der niedrige Vitamin-D-Wert das Risiko für zum Beispiel Rheuma? Oder ist es umgekehrt: Beeinflusst die Erkrankung den Vitamin-D-Spiegel?“

Solange es keine gesicherten Erkenntnisse gibt, sieht die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie bei gesunden Erwachsenen unter 65 Jahren meist keinen Grund, Vitamin-D-Kapseln zu schlucken.

Doch kann man damit wenigstens etwas tun, um seine Knochen gesund zu erhalten? Offenbar weniger als lange gedacht: Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der University of Auckland in Neuseeland in einer „Metaanalyse“, die kürzlich im Fachjournal „The Lancet Diabetes & Endocrinology“ erschienen ist. „Unsere Analyse zeigt, dass Vitamin D Frakturen und Stürze nicht verhindert – egal ob bei hoher oder niedriger Dosis“, wird Studienautor Mark Bolland in der Online-Ausgabe des „Ärzteblatts“ zitiert. 81 Studien mit insgesamt mehr als 50 000 Teilnehmern hatten die Forscher für ihre Analyse durchforstet. Ihr Urteil: Es gebe „wenige Gründe, Vitamin-D-Präparate zur Erhaltung und Verbesserung des Bewegungsapparates zu verwenden“. Nur Patienten mit hohem Risiko für Rachitis und Osteomalazie, beides seltene Erkrankungen, profitierten. Allerdings müssen auch die Neuseeländer zugeben: Es bleiben offene Fragen.

Ein Wundermittel ist Vitamin D aber sicher nicht. Wer dennoch wissen möchte, ob er ausreichend versorgt ist, kann einen Bluttest machen. Sieht der Hausarzt dafür keinen Anlass, muss der Patient die rund 20 Euro allerdings selbst bezahlen.

Wer auf natürlichem Weg Vitamin D tanken möchte, sollte sich zudem ruhig öfter in die Sonne wagen. „Experten raten zur mindestens 30-minütigen Sonnenlichtexposition von Armen und Gesicht pro Tag“, heißt es dazu in der „Ärzte-Zeitung“. Auch wenn die Zeit für kurzärmelige Kleidung zu Ende geht: Auch dann lohnt es sich noch, nach draußen zu gehen und einen Herbstspaziergang zu machen – selbst wenn der Himmel bedeckt ist, wird in der Haut noch Vitamin D gebildet. (mit dpa-Material)

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