Warum entstehen nach einer Verletzung Narben?
„Narben sind eine uralte Antwort der Biologie auf Verletzungen – und eine relativ primitive“, sagt Prof. Hans-Günther Machens, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München. „Sie sind dazu da, den Menschen möglichst schnell vor dem Eindringen von Keimen zu schützen, also vor Infektionen.“ Ästhetik und Funktion? In der Urzeit erst mal zweitrangig. Seither hat sich am Prozess der Wundheilung aber so gut wie nichts geändert: Hauptsache die Haut ist schnell wieder zu – diesem Prinzip folgt der Körper bis heute.
Was hat gesunde Haut, was eine Narbe nicht hat?
Gesunde Haut besteht aus zwei Komponenten, erklärt unser Experte – und zwar aus der Lederhaut, auch Dermis genannt, und einer dünneren Oberhaut, der Epidermis. Die Hautzellen darin sind wohlgeordnet, die beiden Schichten eng miteinander verzahnt. Kollagen und Elastin in der Dermis machen gesunde Haut fest und elastisch zugleich. In der Haut stecken zudem Haarwurzeln, Talg- und Schweißdrüsen sowie Sensoren, die auf Schmerz, Temperatur und Berührung reagieren. „Die Haut ist ja gleichzeitig ein Sinnesorgan“, erklärt Machens. Doch: „Das alles geht mit der Narbe verloren. Sie ist nur noch ein Konglomerat von Zellen.“ Dann gebe es zwar noch eine Epidermis. Doch reicht eine Verletzung bis in die Lederhaut, ist Schluss mit Ordnung. Der Körper bildet rasch einen „Wust aus Bindegewebe, also Kollagen“. Die Folge: Einer Narbe fehle alles, was die Haut ausmacht, sagt Machens. Sogar die Farbe, denn auch Farbpigmente enthält sie nicht. „Wir Chirurgen hassen Narben, weil sie minderwertig und für Patienten oft eine Qual sind.“
Ist Narbe gleich Narbe?
Nein. Eine echte Narbe bilde sich streng genommen nur, wenn die gesamte Lederhaut durchtrennt wurde. Allerdings können auch oberflächlichere Verletzungen Spuren hinterlassen, die sich aber leicht behandeln lassen, sagt Machens, „weil der tiefere Teil der Haut noch intakt ist“. Narben lassen sich also nach ihrer Tiefe unterscheiden – und danach, wie großflächig eine Verletzung ist. Worauf es auch ankommt: die Veranlagung. „Jeder Mensch hat ein eigenes genetisches Programm“, erklärt unser Experte. Dieses regle auch, wie die Wundheilung abläuft. „Bei manchen sieht man fast überhaupt keine Narben, bei anderen wiederum entsteht ein dicker, fetter Wulst.“ In solchen Fällen spricht man von „hypertrophen“ Narben.
Ist so ein dicker Narbenwulst krankhaft?
Nein. Hypertrophe Narben sind zwar auffällig und damit für viele Patienten störend. Krankhaft sind sie aber nicht. Anders ist das bei „Keloiden“. Bei Betroffenen wuchert das Narbengewebe tumorartig und breitet sich weit über die Wundgrenzen aus. „Solche Keloide können riesige Ausmaße annehmen“, sagt Machens. Das kann auch zum funktionellen Problem werden: Überwuchert ein Keloid ein Gelenk, kann der Patient das nicht mehr bewegen.
Bilden sich an manchen Körperstellen generell auffälligere Narben?
Tatsächlich ist dieses Risiko an manchen Stellen höher. Dort, wo die Haut unter Spannung ist, entstehen nach einer OP auch gern mal breitere Narben: Der Zug an der Hautnaht regt Fibroblasten – bestimmte Zellen, die Machens „die Arbeitspferde der Haut“ nennt – zur vermehrten Bildung von Kollagen an. So entstehen ausgerechnet im Bereich des Dekolletés häufiger unschöne, wulstige Narben. Auch im Bereich des Rückens, wo die Haut besonders dick ist, komme es häufiger zu auffälligeren Narben.
Muss man mit solchen auffälligen Narben leben?
Nein. „Man kann heutzutage sehr viel machen, um Narben zu verbessern“, sagt Machens. Ein Verfahren: ein „Narben-Remodelling“. Dabei regt man die Lederhaut dazu an, sich wieder mehr in Richtung gesunder Haut zu verändern. Dazu gibt es verschiedene Verfahren. Sie kommen infrage, wenn wenigstens noch etwa zwei Drittel der Haut erhalten sind, aber eine unschöne Oberfläche entstanden ist. Möglich ist das mit einer Laserbehandlung – oder per „Microneedling“. Dabei behandelt der Arzt die Narbe mit einem Nadelroller. Dadurch entstehen winzige Verletzungen, die den Umbau in der Haut anstoßen. Am Klinikum rechts der Isar wird gerade eine Creme entwickelt, die diesen Prozess unterstützen soll. Sie aktiviert Stammzellen, welche in der Haut auch natürlicherweise vorkommen. Hierzu soll 2019 eine Studie am Klinikum starten. „Microneedling“ kommt auch bei eingesunkenen Narben infrage. Kortisonspritzen wiederum können helfen, erhabene Narben zu reduzieren und damit zu verbessern.
Was hilft bei tiefen und großflächigen Narben?
Solche entstehen oft durch Verbrennungen oder Verbrühungen: Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren seien hier besonders oft betroffen, warnt Machens. Sie können gerade so stehen, greifen dann nach Tasse oder einem Topf und reißen die schnell von Tisch oder Herd – mitsamt dem heißen Inhalt, der sich auf Gesicht, Brust und Arme ergießt. Die Narben, die infolge solcher Verletzungen entstehen, sind großflächig und teils so tief, dass die gesamte Lederhaut zerstört wird. Dort, wo zuvor gesunde Haut war, entsteht in der Folge ein starrer Narbenpanzer. „Solche Narben sind nur zu korrigieren, indem man sie komplett wegschneidet“, sagt Machens. Ersetzt werden sie durch künstliche oder körpereigene Haut.
Woher bekommt man diese körpereigene Haut?
Bei kleineren Narben kann man die auch gleich aus der gesunden Haut daneben gewinnen. Die wird dazu mit einem sogenannten „Expander“ gedehnt. Nach und nach bildet der Körper so mehr Haut. Damit lässt sich die Lücke schließen, nachdem die Narbe entfernt wurde. Bei großflächigen Narben reicht das nicht. Um sie zu ersetzen, entnimmt man meist ein Stück „Vollhaut“ von der Leiste. Hier fällt eine kleine Narbe später nicht so auf. Zudem sei hier bei jedem etwas überschüssige Haut vorhanden und diese sei von guter Qualität, erklärt Machens.
Welche Vorteile bringt künstliche Haut?
Nimmt man Kunsthaut, muss an anderer Stelle keine Vollhaut entnommen werden. Ganz ohne eigene Haut geht es allerdings auch beim Einsatz von künstlicher Haut nicht: Sie soll die zerstörte Dermis ersetzen und ist dazu zunächst von einer Schutzfolie bedeckt. Ist diese Kunsthaut dann nach etwa drei Wochen eingeheilt, entfernt der Arzt diese Folie und entnimmt dem Patienten an anderer Stelle etwas „Spalthaut“. Dabei handelt es sich um eine hauchdünne Hautschicht. Sie reicht aus, um die Kunsthaut abzudecken. Vorteil: Die Entnahmestelle heilt in der Regel narbenfrei. Diese Kombination aus Kunst- und Spalthaut kommt auch zum Einsatz, wenn großflächige Keloide entfernt wurden. Der behandelte Bereich wird oft nachbestrahlt, um einer neuen Wucherung vorzubeugen.
Was sollten Sie beachten?
Wenden Sie sich an einen Spezialisten mit Erfahrung in der Narbenbehandlung, rät Machens. Der Erfolg der Therapie hänge stark davon ab, die Narbe richtig einzuschätzen und eine dazu passende Strategie zu finden. Patienten können sich zum Beispiel an Plastische Chirurgen oder Dermatologen wenden. Wichtig auch: Lassen Sie sich gut beraten, überstürzen Sie nichts – und klären Sie vorab die Kostenfrage: Geht es allein um eine ästhetische Korrektur, zahlen Krankenkassen das meist nicht.