Vorhofflimmern: Chaos im Herzen

von Redaktion

Vorhofflimmern ist die häufigste Störung des Herzrhythmus: Allein in Deutschland leiden mehr als 1,8 Millionen Menschen daran. Bei ihnen schlägt das Herz unregelmäßig und oft auch sehr schnell – das Risiko für Schlaganfall und Herzschwäche steigt. Unser Experte erklärt, wie sich das verhindern lässt.

Was passiert bei Vorhofflimmern im Herzen?

Bei Vorhofflimmern ist die Steuerung des Herzschlags gestört. Damit das Organ richtig pumpt, müssen sich die beiden Vorhöfe und die beiden Hauptkammern des Herzens genau im richtigen Moment zusammenziehen und entspannen. Den Takt dazu gibt der „Sinusknoten“ im rechten Vorhof vor. Er erzeugt ein elektrisches Signal, das sich „in einem sehr geordneten Ablauf“ im Herzen ausbreitet, wie Prof. Steffen Massberg erklärt, Chefarzt der Klinik für Kardiologie am Klinikum Großhadern in München. Normalerweise, denn bei Vorhofflimmern bricht hier ein Chaos aus: „Die Erregung läuft dann in einem sich millisekündlich ändernden Kreis durch den Vorhof“, sagt Massberg. Die Folge: Der Vorhof zuckt teils rund 360 Mal pro Minute und pumpt nicht mehr richtig.

Heißt das, dass alle Betroffenen Herzrasen haben?

Nein. Das verhindert oft der „AV-Knoten“, der zwischen Vorhöfen und Herzkammern liegt. Er bündelt die elektrische Erregung, bremst sie und gibt sie geordneter an die Herzkammern weiter. Das klappt aber nicht bei jedem gleich gut, wie unser Experte erklärt. Es gibt daher Patienten, deren Herz trotz Vorhofflimmern normal schnell oder extrem langsam schlägt. Oder aber es rast selbst in Ruhe mit bis zu 160 Schlägen pro Minute. Das Herz befinde sich dann in einer Art Dauermarathon. Langfristig führt das zu einer Herzschwäche.

Vorhofflimmern ist aber nicht nur langfristig gefährlich, oder?

Ja, viel gefürchteter als die Herzschwäche ist nämlich der Schlaganfall: Flimmern die Vorhöfe, statt zu pumpen, bewegt sich das Blut darin nur noch langsam. Im Vorhofohr, einer Ausbuchtung des Vorhofs, kommt es sogar fast zum Stehen. Das erhöht das Risiko, dass sich ein Blutgerinnsel bildet. Löst sich das, kann es mit dem Blut bis ins Gehirn gespült werden und dort Gefäße verstopfen – so kommt es zum Schlaganfall. Eine Behandlung ist daher für alle Patienten mit Vorhofflimmern wichtig.

Woran erkennt man denn Vorhofflimmern?

Nur etwa ein Drittel der Patienten hat Beschwerden: Betroffene spüren zum Beispiel, dass ihr Herz unregelmäßig schlägt und/oder rast. Da die Vorhöfe bei Vorhofflimmern kaum noch zur Herzleistung beitragen, könne sich dies zudem als Leistungsknick bemerkbar machen, sagt Massberg. „Manche haben auch richtige Schmerzen in der Brust, ein Druck- und Engegefühl sowie Atemnot.“ Oder sie spüren ihren Herzschlag unangenehm intensiv. Aber: „Zwei Drittel haben überhaupt keine Symptome“, sagt Massberg. Ihr Schlaganfallrisiko ist trotzdem erhöht. Manchmal wird die Rhythmusstörung dann zufällig bei einer EKG-Untersuchung entdeckt – damit wird auch bei Patienten mit Beschwerden die Diagnose gestellt. Das Problem dabei: Im EKG ist Vorhofflimmern nur dann erkennbar, wenn es während der Untersuchung auftritt. Doch nicht alle Betroffenen leiden unter „persistierendem“, also anhaltendem Vorhofflimmern. Bei Patienten mit „paroxysmalem“ Vorhofflimmern treten die Rhythmusstörungen anfallsartig auf und verschwinden dann wieder. Bei manchen passiert das alle paar Wochen, bei anderen nur drei Mal pro Jahr. Die Folge: Viele wissen nichts von ihrer Erkrankung.

Wie kommt man dem Vorhofflimmern bei diesen Patienten auf die Spur?

Indem man ein Langzeit-EKG durchführt, das 24 Stunden, zwei Tage oder eine ganze Woche dauern kann. Reicht das nicht, kann ein „Event-Rekorder“ helfen. „Das sind kleine Chips, die man unter die Haut setzt und die kontinuierlich ein EKG aufzeichnen“, erklärt Massberg. Sinnvoll ist das zum Beispiel bei Patienten, die bereits einen Schlaganfall hatten, der nicht durch andere Auslöser erklärbar ist. Manche Menschen nutzen auch „Smartwatches“. Das sind Minicomputer, die man wie Uhren am Handgelenk trägt. Manche können ein einfaches EKG aufzeichnen und dank bestimmter Algorithmen auf Vorhofflimmern schließen. Wie zuverlässig das klappt, sei aber noch unklar, sagt Massberg. Derzeit läuft es nämlich oft so: Erhält der Uhrenträger ein Warnsignal, geht er zum Arzt – und der versucht den Verdacht am Ende doch wieder per Langzeit-EKG oder Event-Rekorder abzuklären. „Ich glaube aber, da wird sich in den nächsten Jahren einiges tun.“

Wie läuft die Therapie ab?

Am wichtigsten ist es, das Risiko für einen Schlaganfall zu senken: Dazu müssen die allermeisten Patienten Gerinnungshemmer einnehmen – egal, ob das Vorhofflimmern nur ab und zu auftritt oder ständig da ist. Wird heute diese Diagnose gestellt, verordnen Kardiologen dazu meist „NOAKs“. Das ist eine neuere Gruppe von Gerinnungshemmern. Ihr Vorteil im Vergleich zu „Marcumar“: Mit NOAKs sind keine häufigen Kontrollen des Gerinnungswertes nötig, zudem ist das Risiko für Blutungen geringer. Haben Patienten keine Beschwerden, reicht die Therapie mit Gerinnungshemmern. Dann ist es nicht nötig, das Herz wieder in einen regelmäßigen Rhythmus zu bringen – anders, wenn das Herz nicht nur unregelmäßig, sondern zudem viel zu schnell schlägt. Dann ist es wichtig, das Organ mit Medikamenten zu bremsen, um eine Herzschwäche zu verhindern. Ist der Herzschlag zu langsam, ist manchmal ein Schrittmacher nötig.

Was hilft Patienten, die Beschwerden haben?

Bei ihnen versucht man, die Regelmäßigkeit des Herzschlags wiederherzustellen. Zum Einsatz kommen dazu Medikamente wie Betablocker und „Antiarrhythmika“. Letztere haben aber auch ihre Tücken: Sie können, gerade bei längerer Anwendung, teils zu ernsten Nebenwirkungen führen. Die Alternative zu Medikamenten ist ein Eingriff per Herzkatheter, eine „Ablation“. Der Kardiologe punktiert dazu eine Vene an der Leiste und führt einen Katheter, eine Art biegsamer Schlauch, in das Blutgefäß, den er bis ins Herz vorschiebt. Mit Hitze oder Kälte verödet er dann kleine Bereiche in der Lungenvene: Von ihnen geht das Vorhofflimmern aus. Die Erfolgsrate der Ablation liege bei anfallsartigem Vorhofflimmern bei 60 bis 80 Prozent, sagt Massberg. Manchmal sei allerdings ein zweiter Versuch nötig. Bei anhaltendem Vorhofflimmern sind die Aussichten geringer. Der Eingriff gilt als komplikationsarm, sei aber auch nicht risikofrei. Also besser ein einmaliger Eingriff als eine medikamentöse Dauertherapie? Welche Strategie besser passt, hängt von vielen Faktoren ab und ist daher immer eine Einzelfallentscheidung, die Arzt und Patient gemeinsam treffen sollten.

Können Patienten auch selbst etwas tun?

Ja, vor allem stark übergewichtige Patienten sollten versuchen, abzunehmen – durch eine gesündere Ernährung statt durch eine Radikaldiät. Wer zu hohe Blutdruck-, Cholesterin- und Blutzuckerwerte hat, muss die möglichst gut in den Griff bekommen. Das gilt auch bei einer Schilddrüsenüberfunktion. Alkohol kann ebenfalls Vorhofflimmern auslösen. Wer empfindlich darauf reagiert, sollte ganz darauf verzichten. Wichtig ist es natürlich auch, körperlich aktiv zu werden: Ausdauersport tut dem Herzen besonders gut.

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