Auf der Insel der 100-Jährigen

von Redaktion

Ein langes und gesundes Leben – an einigen Flecken der Welt scheint dies besonders häufig der Fall zu sein. „Blue Zones“ heißen jene Gebiete, in denen Menschen deutlich länger leben als anderswo. Aber: Was sind ihre Geheimnisse? Eine Spurensuche.

VON ANJA REITER

Alles begann auf Sardinien. Die Inselbewohner prahlten dort seit jeher mit ihrer besonderen Langlebigkeit. Und der belgische Demograf Michel Poulain wollte es schließlich genau wissen: Ließ es sich statistisch wirklich beweisen, dass die Sarden im Schnitt besonders alt wurden?

Vor knapp 20 Jahren wühlte er sich deshalb durch die Geburtsdaten und Sterberegister der Inselbewohner. Dank seiner akribischen Aktenarbeit identifizierte Poulain am Ende eine Handvoll Bergdörfer auf der Insel, in denen sich die Zahl der Hochbetagten tatsächlich häufte: 21 von 10 000 Einwohnern erreichten in diesen Orten ihr 100. Lebensjahr. Nur mal zum Vergleich: In den USA trifft das im Schnitt gerade mal auf vier von 10 000 zu.

Mit einem blauen Stift malte Poulain nun auf der Landkarte Kreise um die auffälligsten Orte. Die „blauen Zonen“, die sogenannten „blue zones“, waren geboren. Neben den Bergdörfern in Sardinien identifizierte Poulain später die Insel Ikaria in Griechenland, Okinawa in Japan, Nicoya in Costa Rica und die Stadt Loma Linda in Kalifornien als Hochburgen der Hochbetagten. Nur: Was genau haben diese Regionen gemeinsam – und was können wir hierzulande von den Menschen dort lernen?

Sucht man nach den Gemeinsamkeiten von Poulains „blauen Zonen“, stößt man zuerst auf viele Widersprüche: Während die Japaner auf Okinawa ihren Menüplan auf Fisch und Algen aufbauen, vertrauen die Griechen ihrer mediterranen Kost. Während die Adventisten im kalifornischen Loma Linda ihre Langlebigkeit mit dem Verzicht auf Alkohol begründen, sehen die Sarden im regelmäßigen Rotweinkonsum ihren Jungbrunnen. Gibt es dennoch etwas Allgemeingültiges, was man von den „blauen Zonen“ lernen kann? Die regionale Diät kann aus Sicht von Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk nur ein kleines Mosaiksteinchen in der Begründung sein. Kleine-Gunk ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin und Gynäkologe in Nürnberg. Und er sagt ganz klar: „Ein Blue-Zones-Kochbuch ist aus meiner Sicht zu einfach.“ Denn: Zu unterschiedlich seien in den untersuchten Orten die Voraussetzungen der Menschen durch Gene und Darmflora. Nur mal ein Beispiel: Viele Europäer könnten die sogenannten Phyto-Östrogene in der sojareichen Kost der Japaner gar nicht erst aufnehmen.

Viel mehr stechen daher dem Experten andere Gemeinsamkeiten ins Auge. Die „blauen Zonen“ zählten etwa allesamt zu den eher armen Regionen der Welt. Und tatsächlich ist es nicht lange her, dass Sardinien und Okinawa noch als Armenhäuser Italiens und Japans galten. Das heißt konkret: Teure Hormonpräparate und Zellerneuerungs-Kapseln haben offensichtlich weniger mit gesundem Altern zu tun als andere Faktoren, wie: gelebte Gemeinschaft, körperliche Arbeit bis ins hohe Alter und kalorienreduzierte Kost.

All das seien Gewohnheiten, die man auch hierzulande kopieren könne, sagt Kleine-Gunk. Nur zu etwa 30 Prozent seien schließlich die Gene für den Alterungsprozess verantwortlich, 70 Prozent würden vom Lebensstil bestimmt. „Über den Lebensstil kann man also vieles kompensieren!“

Kleine-Gunk hält regelmäßiges Intervall-Fasten, etwa durch das Streichen des Abendbrots, für einen hilfreichen Jungbrunnen. „Der Ministress aktiviert die Zellerneuerung“, sagt er. Daneben seien soziale Kontakte, Bewegung und eine ausgewogene Ernährung der Schlüssel zum gesunden Altern. „Das sind Dinge, die man auch mit wenig Geld meistern kann.“ Am meisten zähle aber immer noch der gute Rat der Oma. Kleine-Gunk meint: „Hör auf zu rauchen, beweg’ dich und iss dein Gemüse auf!“ Dafür ist es übrigens nie zu spät.

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