Endlich wieder schmerzfrei!

von Redaktion

Sind das etwa die Bandscheiben? Das fragen sich viele, wenn sie im Bereich von Lenden und Becken Schmerzen haben. Die können aber auch vom „Iliosakralgelenk“ her kommen. Unsere Experten verraten Ihnen, wie Sie schmerzfrei werden.

VON ANDREA EPPNER

Kennen Sie diesen unangenehmen Schmerz ganz unten im Rücken? Er reicht sogar noch ein Stück ins Gesäß hinein – zum Glück tut es aber nur auf einer Seite weh. Verlagern Sie jetzt das Gewicht auf das andere Bein, wird es schnell besser. Falls es auch Ihnen so geht, schieben Sie Ihre Beschwerden nicht vorschnell auf die Wirbelsäule. Denn Schmerzen im unteren Rücken und Becken können auch vom „Iliosakralgelenk“ kommen, kurz: ISG.

Doch wann steckt es wirklich dahinter? Und vor allem: Wie wird man die Beschwerden wieder los? Antworten geben hier zwei Experten: Privatdozent Dr. Christof Birkenmaier, Oberarzt und Leiter „Wirbelsäule“ an der Klinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, und Physiotherapeutin Katrin Hilpert, medizinisch-therapeutische Leiterin am gleichen Klinikum.

Was genau ist denn dieses „Iliosakralgelenk“ – und wo liegt es?

Genau genommen passt „Gelenk“ gar nicht richtig, findet Birkenmaier. Denn so beweglich wie Knie, Schulter oder Hüfte ist das ISG bei Weitem nicht. „Ich erkläre es Patienten eher als Dehnungsfuge im Becken, zwischen Darm- und Kreuzbein.“ Das ISG wird daher auch Darm-Kreuzbein-Gelenk genannt. Jeder Mensch hat zwei davon: eines links, eines rechts vom Kreuzbein. Der schmale Spalt wird von Bändern, Muskeln und Weichteilen zusammengehalten. Dieses „Wackelgelenk“ überträgt das Gewicht des Oberkörpers auf die Beine. Damit reguliert es auch die starken Kräfte, die beim Gehen, Laufen und Springen auf die Beine wirken.

Welche Beschwerden deuten auf das ISG hin?

Wenn die Beschwerden nur eine Seite betreffen und sich bei Belastung verstärken, erklärt Physiotherapeutin Katrin Hilpert. Also etwa beim Gehen – oder wenn man das Gewicht auf das Bein der betroffenen Seite verlagert. Die Schmerzen strahlen dann manchmal bis in die Lendenwirbelsäule aus, sagt Hilpert. Oder sie ziehen vom Gesäß ein Stück in den Oberschenkel hinein.

Kommen die Schmerzen von einer „ISG-Blockade“, wie man oft hört?

Da ist man sich in Fachkreisen uneins. „Ob es wirklich Blockaden in Gelenken gibt, ist äußerst strittig“, sagt Birkenmaier. Wo genau der Schmerz seinen Ursprung hat ist unklar: also direkt aus dem Gelenk oder eher in umliegenden Strukturen. Das wiederum lässt viel Raum für Spekulationen: Es gebe viele Theorien zur Entstehung der Beschwerden – und entsprechend viele Therapie-Angebote, sagt der Experte.

Lässt sich sicher klären, ob das ISG die Ursache ist?

„Einen eindeutigen Test gibt es nicht“, sagt Birkenmaier. Durch Nachfragen, Abtasten und bestimmte Bewegungen versucht der Arzt einzuschätzen, was die wahrscheinlichste Ursache ist. Manchmal sind die Beschwerden am ISG auch nur ein sekundäres Problem, sagt Birkenmaier. So kommt es gerade bei Senioren mit Hüftproblemen oft zu Fehlbelastungen, die erst in der Folge zu ISG-Beschwerden führen. Bei älteren Frauen wiederum sollte man auch an einen Kreuzbeinbruch, ausgelöst durch eine Osteoporose, denken. Schmerzen im Gesäß wiederum könnten auch von gereizten Nervenwurzeln der Lendenwirbelsäule kommen. Gerade bei Männern würde man eher an eine solche Ursache denken.

Trifft es Frauen also öfter?

Ja. Rund 90 Prozent der Patienten seien Frauen, sagt Birkenmaier. Oft gehen die Probleme in oder nach einer Schwangerschaft los. „Das liegt an der hormonellen Umstellung“, erklärt Hilpert. Dann bilde der Körper nämlich Hormone, die Bänder und Bindegewebe im Becken weicher werden lassen, um später die Geburt zu erleichtern. Leider fördert das auch Probleme mit dem ISG.

Wie wird man die Beschwerden wieder los?

Bei akuten Beschwerden verordnet Birkenmaier auch mal Schmerzmittel. „Ich favorisiere aber immer zunächst eine konservative Therapie“, sagt er. Also: Physiotherapie und manuelle Therapie. Erst wenn man damit nicht weiterkommt, sollte man über andere Maßnahmen nachdenken und auch die Diagnose noch einmal überprüfen. Dann ist auch ein Röntgenbild sinnvoll, gegebenenfalls weitere Aufnahmen. Manchmal rät der Arzt dann zu lokalen Infiltrationen: Dabei spritzt er lokal, unter sterilen Bedingungen und Röntgenkontrolle, ein betäubendes Mittel, selten ergänzt um ein kortisonhaltiges Präparat. Das ISG operativ mittels eines Implantats zu versteifen, hält Birkenmaier nur in extremen Ausnahmefällen für sinnvoll. Bei den allermeisten Patienten reicht ohnehin die konservative Therapie aus.

Wie läuft diese ab?

Ehe Physiotherapeutin Hilpert loslegt, macht sie sich selbst ein Bild davon, wo genau es bei einem Patienten Probleme gibt. Sie prüft, wo es in dem perfekt aufeinander abgestimmten Zusammenspiel von ISG mit den umliegenden Muskeln, Bändern und Weichteilen nicht mehr rundläuft. Hakt es an einer Stelle, können sich die Beschwerden auf weiter entfernte Bereiche fortpflanzen – „wie in einer Kettenreaktion“, sagt Hilpert. Der Behandlungsplan wird dann genau auf die Beschwerden des Patienten abgestimmt.

Was gehört dazu?

Indem sie die betroffenen Bereiche mit speziellen Grifftechniken gezielt dehnt und bewegt, mobilisiert Hilpert das ISG und löst die verhärtete Muskulatur. All das gehört zur „manuellen Therapie“. Dazu kommen physiotherapeutische Übungen, die zum Beispiel helfen, Instabilitäten zu lindern oder steif gewordene Strukturen wieder beweglicher zu machen. „Es ist ganz wichtig, dass Patienten aktiv mitmachen“, sagt Hilpert. Sie zeigt ihnen dazu Übungen für daheim. Meist bekommen sie zudem noch weitere, die sie nach Therapieende fortführen sollen – um vorzubeugen.

Hilft dabei auch Sport?

Absolut! Besonders empfehlenswert seien schnelles Gehen oder der Crosstrainer, sagt Hilpert: Dabei ist die Stoßbelastung, die auf das ISG wirkt, gering. Sehr gut eigneten sich auch Pilates-Übungen und die fließenden Bewegungen beim Yoga – beide trainieren nicht nur die tiefe Bauch- und Rückenmuskulatur, sondern fördern auch insgesamt eine stabile Körpermitte. Ein guter Schutz vor ISG-Beschwerden.

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