1967 erschien ein Kinderbuch, das viele von Ihnen bestimmt kennen: Frederick von Leo Lionni. Ich habe das Büchlein als Kind sofort geliebt und habe es bis heute in meiner Praxis im Regal stehen. Denn die kleine Maus Frederick, von der das Büchlein handelt, ist der klügste Glückscoach, den ich kenne!
Er wohnt zusammen mit vielen anderen Mäusen in einer Feldmauer. Aber: Während alle anderen Mäuse im Sommer Körner, Nüsse, Weizen und Stroh sammeln, sitzt Frederick lieber in der Sonne und lässt sich das Fell wärmen. „Frederick, warum arbeitest du nicht?“, fragen ihn die anderen Mäuse. „Ich arbeite doch“, sagt Frederick, „ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.“
Erst scheint den anderen Mäusen das absurd, doch dann, als der lange, kalte Winter an den Kräften der Mäuse zu zehren beginnt, teilt Frederick seine Vorräte mit ihnen: Er erzählt von der Sonne und den Farben des vergangenen Sommers – und den frierenden Mäusen wird es ganz warm. Sie sehen die bunte Sommerwelt richtig vor sich. Und so lässt sich auch der kalte Winter viel leichter überstehen.
Man kann in diese Geschichte natürlich einiges hineinlesen. Ich persönlich mag sie unter anderem deshalb, weil Frederick mich daran erinnert, im Leben doch besser schöne Momente zu sammeln als schöne Dinge. Und damit hat er – zumindest in den Augen der Glücksforscher – absolut Recht!
Nur allzu oft sitzen wir im Alltag nämlich dem Denkfehler auf, dass schöne Erlebnisse zwar Spaß machen können, aber nicht von Dauer seien. Während ein Gegenstand, den man erwirbt – vielleicht ein neues Auto oder eine neue Handtasche – einem ja auch langfristig erhalten bleibt.
Was wir dabei übersehen: Ja, die neue Couch im Esszimmer sieht toll aus. Aber in relativ kurzer Zeit haben wir uns an sie gewöhnt und nehmen sie als ganz selbstverständlich hin. Dann macht sie uns aber auch nicht mehr glücklich. Die Erinnerung an unseren Traumurlaub oder irgendein anderes schönes Erlebnis dagegen bleibt uns erhalten! Sie nutzt sich mit der Zeit nicht ab. Mehr noch: Sie wird zu einem Teil unseres Selbst, unserer Identität. Der Forscher Thomas Gilovich beschreibt es so: „Letztlich sind wir die Summe unserer Erfahrungen. Wenn wir also in Erfahrungen investieren, investieren wir in uns selbst. Sie verändern und bereichern uns – und das bleibt, solange man lebt.“
Am besten funktioniert das natürlich, wenn man die Sonnenstrahl-Momente in seinem Leben nicht nur fleißig sammelt, sondern sie dann auch so, wie Frederick das tut, immer wieder vor sich ausbreitet – sie idealerweise sogar mit anderen teilt.
Eine sehr glücksförderliche Idee ist es deshalb, Erinnerungen an schöne Momente nicht nur irgendwo digital oder im eigenen Gedächtnis zu speichern, sondern dort, wo man immer wieder über sie stolpert. Hängen Sie Ihre Lieblings-Urlaubsfotos also in einem schönen Rahmen auf, oder vielleicht das Plakat des fabelhaften Konzerts, das Sie kürzlich besucht haben. Und veranstalten Sie mit Ihrem Partner oder Ihren Freunden regelmäßig „Weißt Du noch?“-Abende, an denen Sie gemeinsam in schönen Erinnerungen an frühere gemeinsame Erlebnisse schwelgen.
Übrigens haben Sie als Senior bezüglich dieses Glückstipps mal wieder die Nase vorn: Denn im höheren Lebensalter – wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und die Existenz gesichert ist – haben viele Menschen nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Zeit für schöne Erlebnisse zur freien Verfügung. Also lassen Sie sich doch öfter mal von Frederick zum Sammeln animieren – nicht nur jetzt im Juni!
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es so wichtig ist, „Sonnenstrahl“-Momente im Leben nicht nur zu sammeln, sondern sie auch mit anderen zu teilen.