Haben Sie schon mal den Begriff „Naturdefizit-Störung“ gehört? Ich selbst kannte ihn bis vor Kurzem nicht. US-amerikanische Forscher beschreiben damit das Phänomen einer zunehmenden Entfremdung des Menschen von der Natur. Etwas, was sich oft in unserer modernen städtischen Industriegesellschaft beobachten lässt.
Natur begegnet uns allenfalls noch in Form steriler Vorgärten, vielleicht auch in Form von ein paar Bäumen im Biergarten – oder in einer winterlich vereisten Windschutzscheibe. Der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten wird für uns verwischt von Zentralheizungen, Klimaanlagen und elektrischer Beleuchtung. Rund ums Jahr frische Erdbeeren, Skifahren im Sommer oder Freiluft-Thermalbaden im Winter – fast alles ist jederzeit möglich und verfügbar. Die Folgen dieser Entfremdung von naturgegebenen Rhythmen und Gegebenheiten werden aber für uns Menschen zunehmend sichtbar.
Bei vielen jugendlichen Entwicklungsdefiziten spielt der mangelnde Kontakt zur Natur eine unbestrittene Rolle: schlechte Koordination, Übergewicht, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen seien hier als Beispiele genannt. Weltweite Forschungsergebnisse belegen aber auch bei Erwachsenen einen ganz klaren Zusammenhang zwischen guter seelischer und körperlicher Gesundheit und regelmäßigen positiven Naturerlebnissen.
In Japan ist man uns ein ganzes Stück voraus. Dort hat man längst erkannt, wie gut uns in der Natur verbrachte Zeit tut – körperlich und seelisch. Entsprechend gilt dort Shinrin Yoku („Waldbaden“) schon seit Jahrzehnten als anerkannte Heilmethode für viele Gesundheitsprobleme. Es gibt speziell angelegte Zentren für Waldtherapie, und man kann sogar seinen Facharzt in der Disziplin Waldmedizin machen.
Was für unsere westlichen Ohren erst einmal etwas merkwürdig oder esoterisch klingen mag, hat aber ein solides wissenschaftliches Fundament. Viele Studien belegen, dass schon ein eintägiger Aufenthalt im Wald zu niedrigerem Blutdruck, niedrigerer Pulsfrequenz und niedrigerem Blutzuckerspiegel führt. Die Konzentration des Stresshormons Cortisol sinkt ab, während die Anzahl der natürlichen Killerzellen ansteigt – ein Beweis für eine erhöhte Aktivität des Immunsystems.
In allen Studien fühlten sich die „Waldbader“ entspannter, wohler und emotional ausgeglichener als Untersuchungsteilnehmer, denen statt eines Aufenthalts im Wald ein Spaziergang in urbaner Umgebung verordnet worden war. Und das Allerbeste: Diese positiven Auswirkungen ließen sich noch mindestens eine Woche, teilweise sogar einen Monat nach dem Waldbaden nachweisen.
Nun hat ja leider nicht jeder einen Wald direkt vor der Haustür. Es muss aber auch gar nicht unbedingt der Wald sein – ein schöner Park tut es auch! Hauptsache, Ihr Auge darf dabei ausgiebig über Grünes und Blühendes hinwegschweifen. Oder: Vielleicht gehören Sie ja zu den begeisterten Hobby-Gärtnern, die ihre Freizeit am liebsten zwischen Rosen- und Gemüsebeeten verbringen? Wunderbar, denn dabei tun Sie ebenfalls nicht nur Ihrer körperlichen Fitness, sondern auch Ihrer Glücksbilanz etwas Gutes! Gartenarbeit ist nicht umsonst mittlerweile fester Bestandteil vieler stationärer Psychotherapien und ein sehr zuverlässiges Antidepressivum. Notfalls tut es auch ein bepflanzter Balkon. Ja, selbst beim Anblick einer einzelnen Zimmerpflanze entspannen wir uns schon nachweislich!
Gönnen Sie Ihrer Seele also so oft wie möglich ein Bad im Grünen, denn: „Bei jedem Spaziergang durch die Natur erhält man viel mehr, als man gesucht hat.“ (John Muir)
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es unserer Seele so guttut, Zeit in der Natur zu verbringen, seine Augen über Grünes und Blühendes schweifen zu lassen. Denn: Auch das Immunsystem profitiert davon.