Wenn die Bombe im Bauch platzt

von Redaktion

Wenn sich die Aorta im Bauch erweitert, kann das lebensgefährlich werden. Denn so ein „Aneurysma“ der Hauptschlagader droht zu platzen: Wie ein Ballon, der zu stark aufgeblasen wurde. Verhindern lässt sich das mit einem kleinen Eingriff – vorausgesetzt, das Problem wird erkannt. Wie bei Erwin M., 72.

VON ANDREA EPPNER

Es war reiner Zufall, dass Erwin M., 72, von der wachsenden Gefahr in seinem Bauch erfuhr. Vor sieben Jahren schickte ihn sein Kardiologe nach München, ins Klinikum Großhadern – für eine Operation am Herzen. Erwin M., der in Regen in Niederbayern wohnt, sollte dort eine neue Herzklappe bekommen. Bei den Voruntersuchungen entdeckten die Ärzte aber noch etwas: Die Hauptschlagader war an einer Stelle in seinem Bauch auffällig erweitert.

„Das kommt bei vielen Patienten ab einem gewissen Alter vor“, erklärt Prof. Nikolaos Tsilimparis, Direktor der Abteilung für Gefäßchirurgie am Klinikum Großhadern. „Bauchaorten-Aneurysma“ nennen Ärzte so etwas. Gefährlich wird so eine Erweiterung erst, wenn diese eine kritische Größe erreicht. Dann kann die Schlagader reißen wie ein überdehnter Ballon, Blut schießt in den Bauch. „Das ist ein lebensbedrohlicher Zustand.“

Damals, vor sieben Jahren, war Erwin M. noch weit von dieser kritischen Grenze entfernt: Diese liegt bei einem Durchmesser von 5,5 Zentimetern. Die Aorta in Erwin M.s Bauch maß 3,5 Zentimeter. Das ist zwar deutlich mehr als die zwei Zentimeter einer gesunden Aorta. Doch noch war das Risiko gering: Daher bekam Erwin M. wie geplant die neue Herzklappe. Danach sollte er die Bauchaorta halbjährlich kontrollieren lassen – um den richtigen Zeitpunkt für einen Eingriff nicht zu verpassen.

Denn: Beschwerden bereitet ein Aneurysma der Bauchaorta äußerst selten. „Die Mehrheit der Patienten merkt nichts“, sagt der Experte. Die wenigen, die überhaupt etwas spüren, tun das erst, wenn die Aorta schon gefährlich erweitert ist. Manche haben dann Bauch- oder Rückenschmerzen – und die können bekanntlich viele Ursachen haben. So kann ein Aneurysma meist ungestört wachsen; bis der „stille Killer“, wie es auch genannt wird, zuschlägt. Manche sprechen auch von einer „tickenden Zeitbombe.“

Diese lässt sich leicht entschärfen, wenn man sie früh entdeckt – und das muss heute nicht mehr reine Glückssache sein wie damals bei Erwin M. Seit Januar 2018 gibt es nämlich eine Reihenuntersuchung der gesetzlichen Krankenkassen: Seither können Männer ab 65 Jahren einmalig ihre Bauchaorta per Ultraschall untersuchen lassen.

Dass sich das „Screening“ bislang nur an diese Gruppe richtet, hat einen Grund: „Ein Bauchaortenaneurysma ist bei Männern vier bis fünf Mal häufiger“, sagt Tsilimparis. Das Risiko steigt zudem mit dem Alter. So wird etwa bei sechs von 100 Männern zwischen 65 und 80 Jahren ein Aneurysma entdeckt.

Dass ein Screening wirklich Leben retten kann, belegen Erfahrungen aus anderen Ländern, sagt Tsilimparis. In Skandinavien gäbe es dieses nämlich schon länger. Und: Wird ein Aneurysma entdeckt, bleibt es nämlich nicht bei einer einmaligen Untersuchung: Betroffene müssen halbjährlich zur Kontrolle.

So auch Erwin M.: Bei ihm wurde das Aneurysma nur langsam größer. Diesen Sommer hatte es die kritische Größe von 5,5 Zentimetern erreicht. Zeit für einen Eingriff also. Wächst ein Aneurysma sehr schnell oder hat es eine unregelmäßige Größe, raten Mediziner auch mal zu einem früheren Eingreifen.

Selten gebe es auch Patienten, die gar nicht mit dem Wissen klarkommen, dass eine Bombe in ihrem Bauch tickt, sagt Tsilimparis. Auch das könne ein Grund für einen früheren Eingriff sein. Allerdings ließen sich die meisten Patienten beruhigen, wenn man ihnen die Hintergründe nur richtig erkläre: Das Risiko eines Risses ist gering, solange das Aneurysma klein ist. Betroffene müssten sich auch nicht übermäßig schonen. „Sie können ihr Leben meist weiterführen wie zuvor“, sagt Tsilimparis. „Sie sollen sich weiter bewegen und normal Sport treiben.“

Denn Bewegung ist Balsam für die Blutgefäße. Besonders wichtig ist das für Patienten, die an einer Arteriosklerose leiden. Diese Erkrankung betrifft nicht nur die Gefäße von Herz und Hirn, sondern des gesamten Körpers. Ablagerungen in den Gefäßen und Entzündungsprozesse erhöhen daher nicht nur das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Sie schwächen auch die Gefäßwand der Bauchaorta. Gerade bei jüngeren Patienten kommt dazu manchmal eine genetische Vorbelastung. Sie haben von Natur aus ein schwaches Bindegewebe. Bei anderen lässt es erst in höherem Lebensalter nach. Sie neigen also eher zu Aneurysmen.

Gegen das Alter und ihre genetische Vorbelastung sind Patienten zwar machtlos. Einer Arteriosklerose können sie aber durch einen gesünderen Lebensstil entgegenwirken. Wer da bislang nachlässig war, sollte also doch etwas verändern: Statt sich zu schonen, sollte man sich aber viel bewegen, Übergewicht abbauen und sich generell gefäßgesund ernähren. Also: An tierischem Fett sparen, dafür gesundes Oliven- oder Rapsöl bevorzugen. Auch Blutdruck und Blutfette sollten kontrolliert und bei Bedarf behandelt werden. Ein Gefäßkiller ist auch das Rauchen.

Für manche Patienten sei die Diagnose daher eine Art „Weckruf“, sagt Tsilimparis. Viele versuchten dann, gesünder zu leben. „Erkenntnis ist der Schlüssel zu Genesung und Gesundheit.“

Erwin M. lässt seinen Bluthochdruck schon lange behandeln. Ein begeisterter Sportler wird er zwar wohl nicht mehr. Aber: Er ist aktiv, packt daheim gern an. Nur „Brennholz machen“ – das habe er sich zuletzt nicht mehr getraut. Als sich das Aneurysma der kritischen Grenze näherte, sei das schon „eine nervliche Belastung“ gewesen, sagt er. „Ich wusste, dass es jederzeit platzen kann. Das hat man immer im Hinterkopf.“

Darum war er froh, als er Ende Juli im Klinikum Großhadern operiert werden sollte – mittels eines minimal-invasiven Eingriffes statt einer offenen OP mit großem Schnitt. Dabei schieben die Gefäßchirurgen durch einen kleinen Zugang in der Leiste ein biegsames und schmales Röhrchen in die Leistenarterie und weiter bis zum Aneurysma; ganz vorsichtig und unter Röntgenkontrolle. Durch dieses Einführbesteck schieben sie dann eine Gefäßstütze zum Aneurysma. Diese ähnelt einem kurzen Schlauchstück; mit Wänden aus einem metallenen Geflecht, von Kunststoff ummantelt. Die Stütze ist zusammengefaltet – und entfaltet sich erst am Zielort.

Da der minimal-invasive Eingriff weniger belastend ist, kommt er auch für Ältere und Patienten mit Vorerkrankungen infrage. Der Nachteil: Die Gefäßstütze kann nicht angenäht werden. Im entfalteten Zustand presst sie sich aber von innen eng an die Gefäßwand – und bleibt am richtigen Ort. Nur bei fünf bis zehn Prozent der Patienten seien in den ersten fünf Jahren kleine Korrekturen nötig.

Um Nach-OPs zu vermeiden, wird die Gefäßprothese genau angepasst. Sie muss im gesunden Bereich der Aorta fixiert werden. Bei Erwin M. reichte das Aneurysma allerdings bis zu dem Bereich der Aorta, an dem die Nierenarterien abzweigen (siehe Grafik). Die Prothese musste daher oberhalb fixiert werden. Nötig war ein Spezialmodell mit genau passenden Löchern.

Dank einer Vollnarkose bekam Erwin M. nichts davon mit. Schon nach einer Woche durfte er nach Hause, es folgte eine Reha. Bei der letzten Kontrolle vor ein paar Wochen sei alles in Ordnung gewesen, sagt Erwin M. Er ist froh, dass die Bombe in seinem Bauch entschärft ist.

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