Schlaganfall: Jetzt zählt jede Minute!

von Redaktion

Nach einem Schlaganfall rennt die Zeit: Wenige Stunden entscheiden, ob Betroffene zum Pflegefall werden oder weiter selbstständig leben können – je früher die Behandlung beginnt, desto eher lassen sich bleibende Schäden verhindern. Lesen Sie hier, was Sie dazu wissen sollten.

VON ANDREA EPPNER

Ein Mensch kann plötzlich Arm und Bein nicht mehr heben, sieht nur noch verschwommen. Spricht er, klingen seine Sätze verwaschen: All das sind Alarmsignale –ein Schlaganfall könnte die Ursache sein. Der ist hierzulande die dritthäufigste Todesursache und der häufigste Grund für Behinderungen im Erwachsenenalter, heißt es bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe (DSH).

Doch vor dem morgigen Welt-Schlaganfalltag gibt es auch gute Nachrichten: Viele Schlaganfälle lassen sich verhindern. Und kommt es doch zur Katastrophe im Hirn, lassen sich die Folgen eindämmen – „wenn wir schnell sind“, sagt Prof. Marianne Dieterich, Direktorin der Klinik für Neurologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. „Dann können wir Patienten manchmal so gut helfen, dass sie hinterher keine bleibenden Schäden haben.“ Hier erklärt sie, wie das geht.

Was passiert bei einem Schlaganfall im Gehirn?

Bei den allermeisten Betroffenen ist ein Gerinnsel der Auslöser. So ein Pfropf kann sich etwa im Herzen bilden. Löst er sich, reißt ihn das Blut mit – bis er irgendwo hängen bleibt. „Er kann dann eine Arterie, also ein Gefäß, im Gehirn verstopfen“, erklärt Dieterich. Oder es bilden sich größere Ablagerungen in der Arterie. So kommt es zu einem „ischämischen“ Schlaganfall: Dabei sterben Hirnzellen ab, weil sie nicht mehr genug Sauerstoff bekommen. Denn der wird im Blut transportiert. Werden Teile des Hirns nicht mehr richtig durchblutet, fehlt daher auch der Nachschub an Sauerstoff. Deutlich seltener ist ein „hämorrhagischer“ Hirninfarkt: Dabei platzt ein Gefäß im Gehirn, es kommt also zu einer Hirnblutung. Das austretende Blut schädigt Hirnzellen durch den Druck: Sie werden regelrecht zerquetscht.

Warum zählt bei einem Schlaganfall jede Minute?

In der Klinik lassen sich Hirnzellen oft noch retten! Nach einer Hirnblutung kann ein neurochirurgischer Eingriff helfen. Ist ein Gerinnsel die Ursache des Schlaganfalls, muss man dieses möglichst schnell beseitigen. „Etwa vier bis sechs Stunden können Hirnzellen bei vielen Menschen ohne neuen Sauerstoff aushalten“, erklärt Dieterich. Schafft man das Hindernis schnell aus dem Weg, lassen sie sich retten. Das gelingt aber nur, wenn Ersthelfer bei ersten Anzeichen sofort den Notarzt rufen – „im Zweifel lieber einmal zu oft“.

Was sind denn die häufigsten Alarmsignale?

Das hängt davon ab, welcher Teil des Gehirns nicht mehr richtig durchblutet wird. Die Anzeichen können daher verschieden sein. Dazu gehören Gefühlsstörungen oder Lähmungen, die meist eine Körperhälfte betreffen. Betroffene können dann Arm oder Bein nicht mehr heben, haben dadurch auch Probleme beim Gehen und Stehen. Dazu kommen oft Sprach- und Sehstörungen: Patienten sehen verschwommen, nehmen Doppelbilder wahr oder sehen auf einem Auge gar nichts mehr. Manchen wird plötzlich sehr schwindlig.

Was sollte man dann tun?

Gerade ältere Menschen hofften oft darauf, die Beschwerden würden von selbst verschwinden, sagt Dieterich. Manche legten sich dann ins Bett und schlafen. Bis sie ins Krankenhaus kommen, sind oft viele Stunden verstrichen. Häufig sei es dann zu spät für eine Behandlung. „Rufen Sie bei solchen Ausfallerscheinungen, die neu aufgetreten sind, immer sofort den Notarzt“, rät unsere Expertin daher. Das gilt auch dann, wenn die Beschwerden nach einigen Minuten wieder verschwinden. Dann hatte der Betroffene vermutlich eine vorübergehende Durchblutungsstörung, eine „Transiente ischämische Attacke“ (TIA). Das Problem: Darauf folgt manchmal ein Schlaganfall.

Wie lässt sich ein Gerinnsel im Gehirn beseitigen?

In der Klinik wird sofort eine spezielle Computertomografie (CT) des Kopfes gemacht. Diese macht auch die Gefäße sichtbar – und zeigt, wo diese durchblutet sind und wo nicht. So können Neurologen schnell sehen, ob wirklich ein Schlaganfall vorliegt, ob dieser von einer Blutung oder einem Pfropf ausgelöst wurde – und ob die Chance besteht, dass sich betroffenes Hirngewebe noch retten lässt. Ist das der Fall und liegt keine Blutung vor, lässt sich ein Gerinnsel oft mit speziellen Lyse-Medikamenten auflösen. Diese werden in die Blutbahn gespritzt – und gelangen so bis ins Hirn. „Sie wirken am besten in den ersten vier bis sechs Stunden“, sagt Dieterich. Ist das Gerinnsel groß und dick, reicht das allerdings oft nicht. Dann ist ein mechanisches Verfahren, die „Thrombektomie“ nötig.

Was genau passiert bei einer „Thrombektomie“?

Ein Pfropf oder Ablagerungen werden aus dem Gefäß gezogen – und zwar mit einem Katheter. Das ist ein langer Draht, den ein Neuroradiologe von der Leistenarterie bis in die Hirngefäße schiebt. Der Patient wird währenddessen mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Er bekommt zudem Kontrastmittel gespritzt, die den Blutfluss in den Gefäßen sichtbar machen (Angiografie). Auf einem angeschlossenen Bildschirm sieht der Arzt, wo der Blutfluss stoppt Er schiebt dann ein zusammengefaltetes Drahtknäuel durch den Pfropf. Ist das Knäuel durch, spannt er es auf der anderen Seite wie einen Schirm auf – und zieht ihn dann mitsamt Propf vorsichtig zurück. Ist das Gefäß wieder frei, kann das Blut wieder fließen.

Wird das in jeder Klinik gemacht?

Nein! Viele kleinere Krankenhäuser auf dem Land können sich oft keine neurologische Abteilung und keinen Neuroradiologen leisten – auch keine „Stroke Unit“, also eine Station speziell zur Behandlung von Schlaganfallpatienten. Damit Patienten überall gut versorgt werden, gibt es heute telemedizinische Netzwerke, in denen kleine Krankenhäuser mit großen Zentren vernetzt sind – wie das Neurovaskuläre Netz zur Versorgung von Schlaganfällen, kurz NEVAS, mit der Neurologie des Klinikums Großhadern als Koordinationsstelle. In der Praxis läuft das dann so: Kommt ein Patient mit Verdacht auf einen Schlaganfall etwa ins Klinikum Garmisch-Partenkirchen, machen Ärzte vor Ort ein CT und schicken die Aufnahmen über eine sichere Datenleitung an die Neurologen nach Großhadern. Diese begutachten die Bilder am Bildschirm und können zugleich per Videoschaltung mit dem Arzt vor Ort sprechen und mit seiner Hilfe kleine Tests durchführen. Kommt der Experte zu dem Schluss, dass der Nutzen der Lyse-Therapie die Risiken – das sind vor allem Blutungen – überwiegt, wird der Patient nach München gebracht. Auf dem Weg bekommt er „Lyse-Arzneien“ und in Großhadern bei Bedarf eine Thrombektomie.

Kann man einem Schlaganfall vorbeugen?

Ja. Basis dafür ist ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Rauchverzicht. Wer Bluthochdruck, zu hohe Blutzucker- und Blutfettwerte hat, muss diese gut einstellen – bei Bedarf mit Medikamenten. Bei Patienten mit Vorhofflimmern, der häufigsten Herzrhythmusstörung, bilden sich oft Gerinnsel im Vorhof des Herzens. Diese können sich lösen und es kommt im Gehirn zum Schlaganfall. Betroffene müssen konsequent Gerinnungshemmer einnehmen, um das zu verhindern. Vor allem Senioren sollten auch ihre Halsschlagader (Carotis) per Ultraschall auf Ablagerungen untersuchen lassen, rät Dieterich. Dort können sich Gerinnsel bilden und ins Gehirn gespült werden. Das Risiko lässt sich unter anderem durch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) senken. Alle Maßnahmen sind auch für Patienten wichtig, die einen Schlaganfall überstanden haben – um einen neuerlichen Hirninfarkt zu verhindern.

Artikel 3 von 7