DIE HAUSARZT-KOLUMNE – NEUES AUS DER PRAXIS

Zu hohe Cholesterinwerte?

von Redaktion

Immer wieder fällt mir in meinem Praxisalltag auf, dass die Patienten sich vor allem für einen bestimmten Blutwert interessieren: nämlich den Cholesterinwert. Streng genommen meinen sie damit meist den Gesamtcholesterinwert, also die Summe aus „gutem“ HDL- und„schlechtem“ LDL-Cholesterin. Aber: Die – gefühlt größte – Medikamentenabneigung besteht gegen Cholesterinsenker, die sogenannten Statine.

Diese Diskrepanz in der Sache ist bezeichnend. Kaum etwas in der Medizin wird seit Jahrzehnten so heiß diskutiert wie das Thema Cholesterin. Wann ist es zu hoch? Muss ich es behandeln? Und: Wie gehört es behandelt? Alles nur Marketing der Pharmaindustrie, um noch mehr Medikamente zu verkaufen – das hört man von den Skeptikern. Immer niedrigere Grenzwerte, um das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko weiter zu senken, das geben indes einige medizinische Fachgesellschaften vor. Was soll man nun glauben?

Fakt ist: Wir brauchen Cholesterin zum Leben wie die Luft zum Atmen. Es ist ein elementarer Bestandteil unserer Zellen. Fakt ist aber auch: Dauerhaft erhöhte Werte können zu Gefäßverkalkungen führen, der sogenannten Arteriosklerose – Ursache für Herzinfarkt und Schlaganfall. Aber ab wann sind die Werte tatsächlich gefährlich?

Das lässt sich leider nicht pauschal beantworten – und ist auch einer der Hauptstreitpunkte. Wie immer ist es wichtig, den einzelnen Patienten – und in diesem Fall sein Gesamtrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – zu betrachten. Erhöhtes LDL-Cholesterin, also das „schlechte“ Cholesterin, ist nämlich nur einer der Hauptrisikofaktoren. Hinzu kommen Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes (die Zuckerkrankheit), ein familiäres Risiko, Alter und Geschlecht. Ein konkretes Beispiel: Eine 35-jährige sportliche Nichtraucherin mit einem Gesamtcholesterin von 250 (aktueller Grenzwert 200) hat ein deutlich niedrigeres Risiko als ein 65-jähriger rauchender und übergewichtiger Diabetiker mit den gleichen Werten. Im letztgenannten Fall macht eine medikamentöse Cholesterinsenkung sicher mehr Sinn – zumindest dann, wenn ein Rauchstopp und eine Gewichtsabnahme erfolglos bleiben.

Aber auch wenn wir das Gesamtrisiko einfach berechnen können – ab welchem Wert die medikamentöse Behandlung erfolgen soll, bleibt ein Streitpunkt. In einem sind sich aber alle einig: Patienten, die bereits einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hatten, gehören grundsätzlich in die Hochrisikogruppe. Sie sollten sehr niedrige Cholesterinwerte haben. Meist ist dies nur durch Medikamente zu erreichen. Wir sprechen hier von der Sekundärprophylaxe. Alle anderen fallen in die Primärprophylaxe; das bedeutet, wir wollen den ersten Herzinfarkt oder Schlaganfall verhindern.

In puncto Primärprophylaxe herrscht allerdings Uneinigkeit. Erst kürzlich hat die europäische Gesellschaft für Kardiologie die Zielwerte in ihrer Leitlinie wieder weiter gesenkt – und damit die Gruppe der potenziell medikamentös behandlungsbedürftigen Patienten erweitert. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten.

Im Moment gibt es nicht die eine, absolute Wahrheit. Deshalb ist es sehr wichtig, Patienten aufzuklären – ihnen ihr Risiko aufzuzeigen und verschiedene Therapieoptionen anzubieten. Cholesterinsenker haben hier sicher ihren Stellenwert, müssen aber auch immer kritisch hinterfragt werden.

VON DR. SEBASTIAN BRECHENMACHER

Der hausärztlich tätige Internist mit Praxis in Krailling (Kreis Starnberg) schreibt heute darüber, dass es beim Thema Cholesterin nicht „die eine, absolute Wahrheit“ gibt.

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